Wie komme ich zu meinem „Genetischen Befund“?

Was ist ein genetischer Befund? Wer hat ihn erstellt? Was bedeutet er?

Begriffe aus der Genetik dringen immer mehr in unseren Alltag ein. „Designerbaby“, „grüne Gentechnik“ sind nur zwei Beispiele, von denen jeder gehört hat. Plötzlich betrifft „Genetik“ mich selbst oder mein Kind, da möchte man doch gerne etwas genauer Bescheid wissen. Unsere genetische Ausstattung bestimmt in großen Teilen, wer wir sind. Ob wir blonde Haare, braune Augen haben, ob wir eher groß oder klein sind und vielleicht die Anlagen zu einer bestimmten Krankheit haben, ist in unseren Erbinformationen (= Genen) festgelegt.

Die Gene liegen aufgereiht auf den Chromosomen, die dicht gepackt im Zellkern einer jeden Körperzelle liegen. Ein Gen besteht aus einer langen Reihe von hintereinander liegenden „Buchstaben“, von denen es nur 4 verschiedene gibt: A, C, G, und T. Gene sind der Bauplan für die Bestandteile jeder Zelle. Jede Körperzelle des Menschen, auch die weißen Blutkörperchen, hat eine Ausstattung von 46 Chromosomen. Wenige Ausnahmen sind die Blutplättchen und die roten Blutkörperchen, die keinen Zellkern und keine Chromosomen haben.

22 Chromosomen kommen paarweise vor, man nummeriert sie einfach von 1 bis 22. Frauen haben darüber hinaus zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Das sind die so genannten Geschlechtschromosomen.

Bild der 22 paarigen Chromosomen und des X- und Y-Chromosoms

Bei der Bildung von Ei- und Samenzellen wird der Chromosomensatz halbiert, sonst würde er sich ja von Generation zu Generation verdoppeln. Bei der Verschmelzung einer Eizelle mit 23 Chromosomen mit einer Samenzelle mit 23 Chromosomen entsteht dann ein Kind mit wiederum 46 Chromosomen.

Man schätzt, dass der Mensch ungefähr 23.000 Gene auf den 23 verschiedenen Chromosomen hat. Entsprechend den Chromosomen kommen also auch die 23.000 Gene paarig vor: Eine mütterliche Genkopie (mütterliches Allel) und eine väterliche Genkopie (väterliches Allel, Ausnahmen sind die Gene auf den Geschlechtschromosomen X und Y bei männlichen Individuen). Natürlich sind nicht alle Gene in allen Körperzellen aktiv. Zum Beispiel sind in einer Muskelzelle nur die Gene notwendig, die für Aufbau und Funktion einer Muskelzelle notwendig sind. In einer Nervenzelle oder Leberzelle sind andere Gene aktiv.

Ein Allel (s.o.) kann dominant sein, das heißt, es setzt sich gegenüber seinem „Schwesterallel“ durch, oder es ist rezessiv, das heißt, dass die Ausprägung dieses Allels nicht in Erscheinung tritt. Ein Beispiel, von dem Jeder gehört hat, sind die Blutgruppen A, B und O. Selbstverständlich hat jeder hier auch zwei Allele. Wenn bei einem Menschen die Blutgruppe A festgestellt wird, kann das bedeuten, dass beide Allele A tragen, der Mensch hat genetisch die Blutgruppe AA. Es kann aber auch bedeuten, dass ein Allel A und das andere die Blutgruppe O trägt. Das Allel O tritt bei der Bestimmung der Blutgruppe nicht in Erscheinung, es ist also rezessiv gegenüber dem dominanten A.

 

Was hat es nun mit einem genetischen Befund auf sich?

In unserem Fall geht es um die Spinale Muskelatrophie. Die Spinale Muskelatrophie wird autosomal rezessiv vererbt. Was heiß das? Die Veränderung liegt in einem Gen auf dem Chromosom 5.

Die genetischen Veränderungen bei SMA wurden Anfang der 90-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts entdeckt. Im Jahre 1995 gelang es Suzie Lefebvre, das krankheitsauslösende Gen auf dem Chromosom 5 zu identifizieren. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Menschen hat sich ein bestimmter Abschnitt des Chromosoms verdoppelt und es sind zwei nahezu identische Gene entstanden, aber eben nur nahezu identisch. Während das SMN1-Gen das richtige, vollständige Protein herstellt, wird vom SMN2-Gen meistens nur ein verkürztes, unvollständiges Protein hergestellt.

Wenn beide Eltern jeweils ein fehlerhaftes SMN1-Gen auf einem Chromosom 5 haben, merken sie davon nichts, denn auf dem zweiten Chromosom 5 befindet sich ja ein intaktes SMN1-Gen. Wenn das Kind von beiden Eltern jeweils das Chromosom 5 ohne intakte SMN1-Kopie bekommt, wird es an SMA erkranken.

Bei nach 1995 geborenen Patienten existiert in der Regel ein genetischer Befund.

 

Warum sollten sich auch ältere Patienten die Diagnose molekulargenetisch bestätigen lassen?

Neben der dann „ordentlichen“ Eintragung ins Patientenregister hat das auch den persönlichen Vorteil, dass man eine Sicherheit der Diagnose und vielleicht eine bessere Abschätzung der Prognose haben kann. Jedenfalls hat sich bei der Revision des niederländischen, schon seit langem bestehenden SMA-Registers gezeigt, dass viele „Altfälle“ eine andere Muskelkrankheit als SMA haben. Es kann also durchaus von Nutzen sein, neben der Bedeutung für das Patientenregister, die Diagnose molekulargenetisch bestätigen zu lassen.

 

Wie komme ich zum genetischen Befund, wenn meine Diagnose vielleicht schon länger zurückliegt?

Ich wende mich an meinen Haus- oder Kinderarzt und frage, ob er den Befund in den Unterlagen hat. Wenn nicht, hat meist in der Vergangenheit eine Untersuchung an einer größeren Klinik stattgefunden. Der Hausarzt kann dort nachfragen, ob ein Befund existiert. Wenn kein Befund existiert, kann der Haus- oder Kinderarzt die nötigen Formulare bei einem Humangenetischen Institut anfordern. Dann ist nur noch eine Blutentnahme erforderlich! Die Kosten auch für eine nachträgliche Sicherung der Diagnose mittels SMN1-Gentest werden von den Krankenkassen bezahlt. Außerdem kann eine humangenetische Beratung sehr sinnvoll sein.

 

Dr. Raoul Heller Dr. Inge Schwersenz
Institut für Humangenetik
Universität zu Köln