17. SMA-Kongress der Families of SMA

17. Treffen internationaler SMA-Forschergruppen im Rahmen der Internationalen Jahrestagung zur Spinalen Muskelatrophie der Families of SMA, Anaheim, Kalifornien, USA, 13.-15. Juni 2013

 

Quintessenz

Veranstaltungs-Statistik

28 Vorträge sowie 73 Poster, von denen 6 für einen Kurzvortrag ausgewählt wurden. Neben den US-amerikanischen Arbeitsgruppen insgesamt je 8 Erstautorschaften aus Kanada und Italien, 5 aus Argentinien, je 4 aus Großbritannien und den Niederlanden, je 3 aus Deutschland und Taiwan, je 2 aus Spanien, Frankreich und der Schweiz, je 1 aus Dänemark, Brasilien und Chile; mehr als 200 Teilnehmer.

Im folgenden Bericht fassen wir die interessantesten Beiträge zusammen und versuchen, ihre Bedeutung für die SMA-Therapie zu unterstreichen.

 

1. Wie können die vorklinischen (an Tiermodellen durchgeführten) Studien potenzieller SMA-Medikamente verbessert werden?

Ein besonderes Augenmerk bei der Verbesserung von vorklinischen Studien wurde in der selbstkritischen Diskussion zwischen den Neurologen John Porter (National Institute of Neurological Disorders and Stroke, Bethesda), Richard Finkel (Nemours Children’s Hospital), W. David Arnold (Ohio State University) und Thomas Crawford (John Hopkins University) auf SMA-Mausmodelle gelegt: Welche verfügbaren Modelle eignen sich am besten zur Medikamenten-Testung ? Welche der untersuchten Parameter, die die Wirksamkeit einer Behandlung anzeigen (outcome measures), sind auch für menschliche SMA-Patienten relevant und haben somit die größte Aussagekraft für eine Therapiestudie? Die neuesten SMA-Mausmodelle, die die milderen SMA-Typen II und III nachahmen und somit besonders geeignet für präklinische Therapiestudien sind, wurden detailliert von Cathleen Lutz (Jackson Laboratory) vorgestellt. Karen Chen (SMA Foundation) stellte gemeinsame Bemühungen mit dem kinderneurologischen Experten-Netzwerk in den USA (Pediatric Neuromuscular Clinical Research Network for SMA) vor, ein Set von Biomarkern für den SMA-Krankheitsverlauf zu etablieren. Hierzu ist eine öffentlich verfügbare Datenbank mit Informationen zu 130 SMA-Patienten aufgebaut worden. Um zukünftig Änderungen im zeitlichen Verlauf der SMA-Erkrankung erkennen zu können, wird derzeit ein Laborpanel von 27 Plasmawerten (SMA-MAP) bei mehreren Patientenkollektiven auf Übereinstimmung mit klinisch-funktionellen Muskelkraftbestimmungen (z.B. Hammersmith oder MFM score) validiert.
Weitere Informationen:
•  http://www.ninds.nih.gov/funding/transparency_in_reporting_guidance.pdf
•  Nat Immunol. 14:415 (2013)
•  http://neuinfo.org/smabiomarkers
•  PLoS One. 2013;8(4):e60113

Kathryn Swoboda (University of Utah) hat über ihre klinische Studie zum frühest möglichen (präsymptomatischem) Behandlungsversuch mit dem Wirkstoff Natriumphenylbutyrat bei Säuglingen mit SMA Typ I and II berichtet. Die molekulargenetische Diagnose wurde durch eine auffällige Familienanamnese veranlasst und durch eine genaue neurologische Untersuchung vor dem Auftreten der Symptome ergänzt. Nicht-invasive, elektrophysiologische Messungen mittels Oberflächenelektroden sowie motorische Tests ermöglichten Verlaufsbeobachtungen unter Therapie. In SMA1-Patienten wurde ein früher Verlust der Innervierung beobachtet, in SMA2-Patienten hingegen deuteten die elektrophysiologischen Messungen sogar auf eine Reinnervation. Bei diesen Patienten ist eine frühere Therapie von größtem Vorteil, weil das Voranschreiten der Krankheit (Progression) langsamer und somit das therapeutische Fenster, d.h. der zeitliche Abschnitt, in dem eine Therapie Wirkung zeigen sollte, breiter ist. Diese Studie bereitet das Projekt eines zukünftigen Neugeborenen-Screenings auf SMA vor (s.u.)
Weitere Informationen:
•  http://clinicaltrials.gov/ct2/show/record/NCT00528268

 

2. SMA wird durch den Mangel an funktionell aktivem SMN-Volllänge-Eiweiß verursacht. – Wie kann man die SMN-Menge erhöhen?

Die Spinale Muskelatrophie wird meistens durch einen homozygoten Verlust (= Deletion) oder in seltenen Fällen durch Punktmutationen des SMN1-Gens verursacht, was ein niedriges Niveau von SMN-Volllänge-Eiweiß zur Folge hat. Viele Therapieansätze sind daher auf die Stabilisierung des SMN-Eiweißes gerichtet. Die Mitarbeiter von Lee L. Rubin (Harvard Medical School) haben bereits 2011 per Hochdurchsatzscreening die Glykogen Synthase Kinase 3 (GSK-3) als einen Hauptregulator der SMN-Stabilität identifiziert (Makhortova et al 2011). Die Gruppe hat ein Molekül identifiziert, welches das von der Kinase phosphorylierte SMN-Protein zum Abbau vermittelt. Durch die Behandlung von mehreren zellulären SMA-Modellen (Bindegewebezellen von SMA-Patienten, Maus- und menschliche Stammzellen und in der Zellkultur differenzierte Motoneurone) mit einem Hemmer (= Inhibitor) für das neu identifizierte Molekül konnte die Menge des SMN-Proteins erheblich gesteigert werden. Die Gruppe um Judith Steen (Harvard Medical School, Proteomics Center) hat mittels einer anderen Methode (Proteomics) ebenfalls ein Molekül identifiziert, welches den Abbau des SMN-Eiweißes vermittelt. Sie konnten nachweisen, dass die Phosphorylierung von SMN durch GSK-3 den SMN-Abbau beschleunigt, umgekehrt aber die Hemmung (= Inhibierung) des neu entdeckten Moleküls das SMN-Protein stabilisiert. Beide Gruppen postulieren, dass Inhibierung des neu entdeckten Moleküls oder seiner Effektorproteine ein Therapieansatz für SMA sein könnte.

Dank neuester technologischer Fortschritte (s. o. g. Hochdurchsatz-Screeningmethoden) können in der SMA-Forschung neue potenzielle Wirksubstanzen identifiziert werden. Es gibt jedoch einen Bedarf für krankheitsrelevante Modellsysteme, in denen die therapeutische Wirksamkeit geprüft werden kann. Maureen Sherry-Lynes (Rubin Lab) stellte eine neue Plattform vor, in der aus Hautbiopsien von SMA-Patienten vom Typ I, II & III induzierbare pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) generiert werden, die anschließend zu Motoneuronen differenziert werden. Dadurch wird ein optimales Testsystem auf Basis der eigentlichen Zielzellen (Motoneuronen) gewonnen. Die Gruppe konnte bereits einige Substanzen identifizieren und in iPS-Zellen von mehreren Patienten testen, um diejenigen mit der breitesten Effektivität und dem größten therapeutischen Potenzial als potentielle neue Therapeutika weiterzuentwickeln.

 

3. Wie beeinträchtigt der SMN-Mangel die Motoneurone und die Entwicklung der Muskulatur? (molekulare Pathogenese I)

Mit der Aussicht, dass neue zielgerichtete Therapeutika es von vorklinischen Studien in die Phase der klinischen Studien bei SMA-Patienten schaffen werden, ist es dringend nötig, die molekularen Mechanismen (= Pathogenese) von SMA beim Menschen besser zu verstehen, um Parallelen, aber auch Diskrepanzen zu den Erkenntnissen an SMA-Mausmodellen hervorzuheben.

Die Gruppe von Charlotte Sumner (The Johns Hopkins University, Baltimore) hat eine detaillierte Analyse der Motoneuronpathologie in mehreren Rückenmarkabschnitten von verstorbenen SMA-Patienten und gleichaltrigen aus anderen Gründen verstorbenen Kontrollprobanden durchgeführt. Bei SMA-Patienten war ein erheblicher Verlust von Motoneuronen in allen Segmenten des Rückenmarks sichtbar. Die Größe von Motoneuronen war bei den verstorbenen SMA-Patienten deutlich reduziert. Vielleicht sind große Motoneurone besonders anfällig für SMN-Mangel, und nur kleine Motoneurone bei SMA-Patienten können länger überleben. Diese Hypothese wurde mittels immunohistochemischer Analysen bestätigt, in denen große, myelinisierte Axone (umhüllte Motoneuronfortsätze) weitestgehend fehlten. Elektronmikroskopische Aufnahmen zeigten lediglich kleine und ummyelinisierte Axone, die ein sehr frühes Entwicklungsstadium darstellen und vermutlich in ihrer Entwicklung zu myelinisierten großen Axonen gehemmt wurden. Diese Studie liefert wichtiges Wissen zur SMA-Pathogenese, die im Menschen auch die axonale Entwicklung betrifft, welche somit ein neues Objekt für Therapieansätze darstellt.

Die bekannteste Aufgabe des SMN-Proteins ist die Mitwirkung beim sog. Spleißen, der Unwandlung unreifer prä-mRNAs in reifere mRNAs, die in vielen verschiedenen Zellen beim Ablesen vieler verschiedener Gene eine Rolle spielt. Warum sind bei SMA aber gerade die Motoneuronen des Rückenmarks am schwersten betroffen? Vor kurzem wurde zum ersten Mal ein Zusammenhang mit dem Gen Stasimon nachgewiesen, dessen prä-mRNA-Transkript beim SMN-Mangel falsch gespleißt wird. Wenn fehlerhaftes Stasimon-Spleißen in der Fruchtfliege oder im Zebrafisch nachgestellt wurde, resultierte es in einem motoneuronalen Defekt (Lotti et al 2012).

Vicky McGovern und die Forscher um Arthur Burghes (Ohio State University) verfolgen ein ähnliches Ziel: Sie führten die RNA-Sequenzierungen an mit Laser-Mikrodissektion isolierten Motoneuronen durch. Auf diese Art und Weise wurden mehrere Gene identifiziert, die spezifisch nur in den SMA-Motoneuronen, aber nicht im Wildtyp (gesunden Tier bzw. Mensch) eine Veränderung im Spleißen bzw. der Genexpression aufweisen. Diese Studien können erheblich zu der Entschlüsselung der SMA-spezifischen molekularen Krankheitsmechanismen beitragen.

Ein Erklärungsversuch für die spezifische Schädigung von Motoneuronen bei SMA ist ein defekter Transport entlang der Nervenzellfortsätze (= Axone), wie von Yong-Chao Ma (Northwestern University, Chicago) präsentiert. Seine Studien zeigten eine erhöhte Aktivität eines neuen Gens im Rückenmark der SMA-Mäuse und in aus menschlichen iPS-Zellen gewonnenen Motoneuronen. Durch die erhöhte Aktivität dieses Gens wird über mehrere Schritte die Stabilität von Mikrotubuli beeinträchtigt. Mikrotubuli sind entscheidend für den Transport in der Zelle. Wenn im SMA-Zebrafischmodell die mehrschrittige Signalkette unterbrochen wurde, konnten die Defekte in den Motoneuronen korrigiert werden. Somit deckt diese Studie einen neuen Signalweg auf, der zur SMA-spezifischen Degeneration von Motoneuronen beiträgt.

Infolge des Abbaus von Motorneuronen in SMA-Patienten geht Muskulatur verloren (= Atrophie). Muskeln sind also ein wichtiges Zielgewebe im SMA-Krankheitsprozess. Es blieb jedoch lange unklar, ob die Muskelatrophie nur ein sekundärer Effekt ist, oder ob der SMN-Mangel auch direkt in Muskelzellen wirkt und zur Krankheit beiträgt. Die Gruppe um Barrington Burnett (NINDS, Bethesda) widmete sich dieser Frage, indem sie Muskelzelllinien und primäre Myoblasten (Muskelvorläuferzellen) unter dem Einfluss des SMN-Mangels untersuchte. Die Muskelzellen mit reduziertem SMN konnten nicht zu den sog. Myotuben fusionieren, die ein Vorstadium zu Muskelfasern darstellen. Auch die Zellbewegung (Migration) und die Organisation des inneren Skeletts der Zelle (= Zytoskelett), welches überwiegend aus dem Strukturprotein Aktin besteht, waren bei der Reduktion des SMN-Proteins beeinträchtigt. Durch die Erhöhung der Menge vom SMN-Volllänge-Eiweiß konnten die untersuchten Eigenschaften der Muskelzellen verbessert werden. Diese Daten weisen auf eine wichtige Rolle des SMN-Proteins bereits in der frühen Muskelentwicklung hin. Auch im Vortrag von Justin Boyer (Rashmi Kothary Lab, University of Ottawa) wurde die Rolle vom SMN in den Muskeln analysiert. Die Forscher untersuchten gezielt Proteine, die ausschlaggebend für die Muskelentwicklung sind und beobachteten, dass die Expression von 3 Genen zeitlich verzögert in Muskeln der SMA Mäuse war. Die Muskelkraft der SMA-Mäuse war sogar vor sichtbarer Degeneration der Motoneurone vermindert. Diese neuen Details sollten das Verständnis der Krankheitsentstehung (Pathogenese) von SMA verbessern. Auch Muskeln sollten also zukünftig bei dem Versuch einer Therapieentwicklung als Zielgewebe berücksichtigt werden.

 

4. Mit welchen anderen Eiweißen (= Proteinen) interagiert SMN? Welche Proteine können den SMA-Phänotyp modifizieren oder sogar verhindern? (molekulare Pathogenese II)

Um die Rolle des SMN-Proteins besser zu verstehen, sucht man nach anderen Proteinen, die mit dem SMN-Protein eine Wechselwirkung haben (Interaktionspartner).

Sarah K. Custer aus dem Labor von Elliot Androphy (Indiana University, Indianapolis) berichtete von dem Protein alpha-COP, einem solchen SMN-Interaktionspartner, der für den Transport von Vesikeln in der Zelle wichtig ist. Alpha-COP reguliert die Lokalisierung von SMN-Protein in den Zellen. Wenn in Motoneuron-ähnlichen Zellen alpha-COP reduziert wird, formen die Zellen weniger Fortsätze, die für Nervenzellen typisch sind und physiologisch ein Vorstadium zum Axon bzw. für Dendriten darstellen. Dieser Phänotyp ähnelt dem von Zellen mit SMN-Mangel. Wenn in diesen SMN-reduzierten Zellen das alpha-COP-Eiweiß hochreguliert wird, werden die Fortsätze wieder länger. Die Forscher haben auch Experimente im lebenden Organismus (= in vivo) durchgeführt, indem sie das alpha-COP-Protein in SMA-Mäusen hochregulierten. Dies hat die motorischen Fähigkeiten und die Lebenserwartung der Tiere verbessert. Sie konnten auch nachweisen, dass alpha-COP mehrere mRNA-Transkripte bindet, die SMN-abhängig sind. Dadurch wird die Hypothese unterstützt, dass SMN und alpha-COP bei dem mRNA-Transport zusammenarbeiten. Das Aufdecken neuer Funktionen von SMN in Interaktion mit alpha-COP eröffnet neue Perspektiven für einen evtl. Therapieansatz.

Im Jahr 2008 identifizierte die Gruppe von Brunhilde Wirth (Institut für Humangenetik, Universität zu Köln) Plastin 3 (PLS3) als den ersten SMA-Modifier neben dem SMN2-Gen: in sechs Familien waren Mitglieder, die zwar die eigentlich krankheitsverursachende homozygote SMN1-Deletion aufwiesen, dabei aber infolge einer hohen Expression von PLS3 klinisch gesund, also durch PLS3 vor SMA geschützt waren. Durch die gleiche Gruppe ist diese SMA-protektive Wirkung von PLS3 auch in einem SMA-Maus-bzw. Zebrafisch-Modell bestätigt und durch eine F-Aktin-organisierende Wirkung erklärt worden. (F-Aktin ist Teil des inneren Zellgerüsts, welches besonders wichtig an den aussprossenden Axon-Enden von Motoneuronen ist.) Aktuell zeigte Melissa Walsh (Brown University, Rhode Island), dass die Heraufregulierung spezifisch in Nervenzellen nicht nur im Fadenwurm-Modell (c. elegans) für SMA vor den Krankheitszeichen schützt, sondern auch die neuromuskuläre Beeinträchtigung im Fadenwurm-Modell für Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) bzw. für andere neurodegenerative Erkrankungen (sog. Polyglutamin Erkrankungen) vermindert. Plastin wirkt also als protektiver Modifier nicht nur in verschiedenen Spezies, sondern auch in unterschiedlichen neurodegenerativen Erkrankungen. Die Gruppe um Brunhilde Wirth präsentierte ein neues Molekül, das die Interaktion zwischen dem SMN-Protein, Plastin 3 und F-Aktin vermittelt und wiederum im Zebrafischmodell gegen die schädlichen Auswirkungen einer SMN-Herunterregulierung schützt.

Die Muskelatrophie in SMA betrifft nicht alle Muskeln im gleichen Ausmaß: während die Muskeln der Gliedmaßen am stärksten betroffen sind, ist bei SMA-Patienten meistens die Funktion der Augenmuskeln, der externen Schließmuskeln und des Zwerchfells erhalten. Justin Lee aus dem Labor von Christopher Henderson (Columbia University, New York) präsentierte ihre Analysen der unterschiedlich betroffenen Muskel und Motoneurone, um neue Proteine für zielgerichtete Therapien in SMA zu identifizieren. Dafür hat die Gruppe innervierte Muskelpräparate von SMA-Mäusen sowie Muskelbiopsien von SMA-Patienten untersucht, um genau die Muskeln bzw. die dazugehörigen Motoneurone zu identifizieren, die von der SMA-Pathologie verschont bleiben. Zwölf identifizierte, unterschiedlich SMA-resistente Motoneurongruppen wurden dann mittels Laser-Mikrodissektion für RNA-Profil-analysen von Wildtyp-Mäusen gesammelt, um Gene zu identifizieren, deren Expression zwischen den SMA-resistenten und SMA-anfälligen Motoneuronen variiert. So konnte die Gruppe 30 Gene identifizieren. Die modulierende Auswirkung dieser Gene wird anschließend funktionell in SMA-Mäusen untersucht, um ihre Erfolgschancen als Ansatzpunkt für eine Therapie einzuschätzen.

 

5. Welche SMA-Therapieansätze sind am weitesten fortgeschritten? Wie verläuft ihre Umsetzung in die klinische Praxis?

Während weiterhin neue, SMA-spezifische Therapieansätzen gesucht werden, arbeiten einige Guppen bereits daran, Strategien, die in präklinischen Tier-Versuchen zu einer deutlichen Lebensverlängerung geführt haben, in die Phase klinischer Studien umzusetzen (translationale Medizin).

Eine vielversprechende, aber komplexe Methode ist die virale Gentherapie, bei der der Mangel an SMN-Protein durch Einschleusen von viralen Vehikeln (sog. AAV9-Vektoren) korrigiert wird, die eine funktionelle SMN-Genversion enthalten. Die virale Gentherapie hat in SMA-Mausmodellen z. T. zu unerwartet starken Verlängerungen der Lebenszeit geführt, vorausgesetzt, dass sie in einem frühen Erkrankungsstadium verabreicht wurde. Brian Kaspar (Ohio State University, Columbus) stellte zwei Applikationswege für Vektoren vor. Eine Möglichkeit ist die systemische Einschleusung über den Blutweg, da die Vektoren die Hirnblutschranke durchdringen können. Die Forscher konnten bereits in Mäusen und nicht-menschlichen Primaten überprüfen, dass die Applikation ungefährlich und gut verträglich ist. Danach folgten die Untersuchungen zur Verteilung und Verweildauer der SMN-tragenden AAV9-Viren im Körper (Pharmakodynamik), sowie zur Toxikologie (Nebenwirkungen). All diese Studien wurden erfolgreich abgeschlossen und momentan befindet sich dieser Therapieansatz im Zulassungsverfahren für die erste klinische Studie, die insgesamt 9 SMA1-Patienten einschließen soll und evtl. in 2014 begonnen wird. Gleichzeitig streben die Forscher eine alternative Applikationsmethode an, die gezielt die viralen Vektoren an das Zielgewebe, also die Motoneuronen bringt, und zwar durch intrathekale Injektionen, also durch Einspritzen in die Hirn-Rückenmarkflüssigkeit. Dadurch lässt sich mit einer niedrigeren Dosis arbeiten. Hier zeigten fluoreszent markierte AAV9-Injektionen bei Primaten, dass bis zu 90 % der Motoneuronen erreicht werden. Auch hier erwiesen sich die Analysen zur Sicherheit und Verträglichkeit dieses Applikationsweges als erfolgreich und toxikologische Studien folgen.

Es wurde bisher sehr ausgiebig darüber diskutiert, wie groß das so genannte „therapeutische Fenster“ bei SMA ist, das heißt, in welchem Stadium der Erkrankung eine Therapie überhaupt eine Wirkung zeigen würde. Viele Forscher waren der Meinung, dass eventuell sogar nur vor dem Auftreten von Symptomen wirksam behandelt werden kann. Das würde dann nur einem sehr kleinen Teil der Patienten zugute kommen, jedenfalls solange kein Neugeborenentest auf SMA durchgeführt wird. Fast alle SMA-Patienten würden hingegen von einer Therapie profitieren, die auch noch wirkt, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist. Zu dieser Fragestellung präsentierten Zhihua Feng und Kollegen (Univ Southern California, Hoffman-La Roche Basel, PTC Therapeutics New Jersey und SMA Foundation New York) ein interessantes Modell: Verschiedene von PTC und Roche gemeinschaftlich entwickelte Moleküle (small molecules) waren aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit (starke Lebensverlängerung, keine Muskelatrophie) im sog. Δ7 Mausemodell für SMA (unbehandelte Überlebenszeit max. 14 Tage) ausgesucht worden. Möglicherweise beruht die gute Wirkung dieser Moleküle auch darauf, dass sie sich im gesamten Organismus verteilten können und somit nicht nur Motoneuronen, sondern auch andere evtl. am Krankheitsprozess beteiligte Zellen (z.B. Muskelzellen) erreichen. Nun wurden Δ7-Mäuse vom 3. Lebenstag an zunächst statt mit optimaler Dosis mit deutlich niedriger Dosis behandelt. Diejenigen Mäuse, die immerhin bis zum 30. Lebenstag überlebten, hatten daher ein chronisches SMA-Krankheitsbild vergleichbar in etwa dem SMA2/3 Bild (= Phänotyp) beim erwachsenen Menschen entwickelt. Vom 30. Lebenstag an wurde ein Teil dieser Tiere dann mit optimaler Dosis des jeweiligen therapeutischen Moleküls behandelt. Es zeigte sich, dass sich die bereits fortgeschrittenen Denervierungszeichen unter dem Einfluss der Wirkstoffgabe teilweise verbesserten. Sollte einer dieser Wirkstoffe also erfolgreich zu einem Medikament weiterentwickelt werden, bestünde die Hoffnung, damit auch SMA-Patienten mit schon fortgeschrittenem chronischem Krankheitsverlauf eine zumindest stabilisierende Therapie anbieten zu können. Allerdings ist die Übertragung von Ergebnissen am Mausmodell auf die Situation beim Menschen immer mit Vorbehalt zu sehen.

Aktuelle klinische Studien mit Wirksubstanzen
US-amerikanische ISIS Antisense-Oligonukleotid (ASO) „SMNRx“ Therapiestudie: Ein Therapieansatz, der sich bereits in der Phase der klinischen Studie Phase II/III (Fragen der Dosierung und der Wirksamkeit) befindet, ist die Therapie mit kleinen synthetischen, chemisch modifizierten RNA-Fragmenten, den sogenannten Antisense-Oligonukleotiden (ASO). ASOs sollen das fehlerhafte Spleißen des SMN2-Gens korrigieren und somit die Menge an funktionellem SMN-Volllänge-Eiweiß erhöhen. Kathie M. Bishop (ISIS Pharmaceuticals) hat von den ersten Ergebnissen der klinischen Studie mit dem Wirkstoff ISIS-SMNRx (ISIS 396443) berichtet. Die SMA-Patient/inn/en im Alter von 2-14 Jahren erhielten mittels einmaliger Injektion in die Rückenmarksflüssigkeit (intrathekal) unterschiedlichen Dosen des Wirkstoffs (1, 3, 6, 9 mg) und wurden danach für einen Monat nach einer kleineren oder für drei Monate nach einer hohen Dosis auf die Sicherheit und Verträglichkeit untersucht. Auch das Niveau des Wirkstoffs im Blut und in der Hirn-Rückenmarkflüssigkeit wurde 24 Stunden, 7 und 28 Tage nach der Injektion gemessen. Es wurden auch bei den höheren Dosen keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachtet. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die intrathekale Injektion von ISIS-SMNRx bei Kindern gut verträglich und praktikabel ist. Gleichzeitig wurde bei der Patientengruppe mit der höchsten Dosierung eine moderate Verbesserung der elektrophysiologischen Messungen festgestellt. Sollten sich die Sicherheits- und die Verträglichkeitsdaten dieser (bereits zweiten) klinischen Pilotstudie bestätigen, könnten voraussichtlich in der 2. Hälfte 2014 Folgestudien mit mehreren Gaben des Wirkstoff ISIS-SMNRx in größeren Patientengruppen (ca. 45 SMA1- und ca. 120 SMA2/3-Patienten) als multizentrische Studien avisiert werden. Idealerweise würden die umfangreicheren Phase III Studien nach Abschluss zum ersten anerkannten SMA-Medikament für Patienten führen.
Weitere Informationen:
•  www.isispharm.com/Site_Gfx/pdf/2012_Annual_Meeting_SMN_Poster.pdf

Europäische Multicenterstudie mit Olesoxime (TRO19622): Untersucht werden Sicherheit und Wirksamkeit dieser neuroprotektiven Substanz über 2 Jahre in einer kontrollierten Doppelblindstudie mit 165 SMA2- oder SMA3-Patienten im Alter von 3-25 Jahren. Nach Zwischenauswertung im Frühjahr 2013 wurde entschieden, diese Therapiestudie über die gesamte Zeitdauer zu Ende zu führen, da weder unerwartete Nebenwirkungen dagegen sprachen, noch eine unerwartet hohe Wirksamkeit die Behandlung von 1/3 der Patienten mit Placebo ethisch inakzeptabel gemacht hätte. Die evtl. Wirksamkeit des Therapieversuches soll physiotherapeutisch, elektrophysiologisch, mittels Lungenfunktionsmessung und Fragebögen ausgelesen werden.
Weitere Informationen:
•  www.trophos.com
•  www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01302600

Salbutamol ist ein β2-Sympathomimetikum (Adrenalin-ähnliche Wirkung), welches die glatte Muskulatur in den Atemwegen entspannt und die Lungenfunktion verbessern kann. In einer 1jährigen italienischen multizentrischen Phase II Doppelblindstudie an 36 erwachsenen SMA3-Patienten wurde nachgewiesen, dass Salbutamol die Spiegel an SMN-Vollängeprotein in weißen Blutzellen erhöhen kann. Diese Studie war allerdings nicht geeignet zu beweisen, dass diese biologische Wirkung auch in einen klinischen Nutzen übersetzt wurde.
Die Autoren beobachteten jetzt 5 Patienten, die Salbutamol weiterhin in der Dosis von 4x 2mg oral einnahmen, für ein weiteres Jahr nach. Mit 1 Ausnahme blieben die SMN-Volllängeeiweißspiegel erhöht (1,3 bis 2,3fach im Vergleich zum Ausgangswert zu Beginn der Studie). Auch bei 6 Patienten, die im 1. Jahr ein Placebo eingenommen hatten, führte das 2. Jahr mit Einnahme von Salbutamol zu einer signifikanten Anhebung des SMN-Volllänge-Eiweiß. Eine Auswertung der klinischen outcome measures ergab, dass die SMN-Volllänge-Eiweißspiegel in weißen Blutzellen eine schwache Korrelation mit der Muskelfunktion zeigen. Allerdings kann die Erkrankungsdauer diese Korrelation in dem Sinne stören, dass bei langer Erkrankungsdauer die Muskelfunktion schlechter ist als aufgrund der SMN-Eiweißspiegel zu erwarten.
Weitere Informationen:
•  Prof. Francesco Danilo Tiziano, Institut für Medizinische Genetik, Katholische Universität, Rom, Italien
•  EudraCT No. 2007-001088-32
•  European Journal of Human Genetics 21, 630–636 (2013)

 

 6. Aspekte der interdisziplinär-klinischen Grundversorgung

Erwachsenwerden als SMA-Patient/-in („Transition“): Wichtige Schritte, die der Vorbereitung bedürfen, sind a) Auszug von zu Hause und Integration in eine neue Umgebung (Ausbildungsstelle), b) Übernahme der Verantwortung für die Organisation der eigenen medizinischen Betreuung, und c) Familienplanung mit Schwangerschaft.
Zu a) In einer neuen Umgebung, in der Barrieren vorkommen werden, haben SMA3-Patient/inn/en deutlich mehr Schwierigkeiten, die notwendige Unterstützung von Mitmenschen einzufordern als SMA2-Patienten, da SMA3-Patient/inn/en dies nicht gewohnt sind. Zwar ist es wichtig, sich selbst zu fordern, um seine Unabhängigkeit möglichst lange erhalten zu können, aber SMA3-Patienten neigen dazu, sich durch Verzicht auf fremde Hilfe eher zu überfordern und damit z. B. für die Ausbildung nicht genügend Energie übrig zu haben.
Zu b) Die Organisation der eigenen medizinischen Betreuung, die in der Regel jahrelang von den Eltern geleistet wurde, muss frühzeitig vor dem Auszug von zuhause durch den/die Patient/in selbst geübt und übernommen werden. Die Eltern müssen ihrerseits lernen, die Verantwortung zu übergeben. Die schriftliche Dokumentation von ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen über ein Jahr hin ist eine gute Vorbereitung. Bereits erwachsene SMA-Patienten können wertvolle Ratschläge zum Aufbau eines Netzwerkes von persönlichen Assistenten geben.
Zu c) Schwangerschaft kann selten mit einer frgl. Krankheitsverschlechterung, aber auch mit unspezifischen nach der Schwangerschaft auftretenden Erschöpfungszuständen einher gehen.
Weitere Informationen:
•  Kruitwagen-van Reenen ET, University Medical Centre Utrecht, The Netherlands
•  www.initiative-sma.de

SMA – Versorgungsbrennpunkte: Auch wenn es seit 2007 Leitlinien für die medizinische Grundversorgung von SMA-Patienten gibt, die durch treat-nmd in viele Sprachen übersetzt wurden (J Child Neurol. 2007 Aug;22(8):1027-49), bemühen sich verschiedene Gruppen, die wesentlichen Probleme im langfristigen Krankheitsverlauf bei SMA besser zu definieren, um diesbezüglich die Versorgung in verschiedenen Zentren zu vergleichen. Zu den 5 zentralen Aspekten gehören die Atemproblematik, der Einfluss der Ernährung, die Wirbelsäulendeformierung, die Problematik allgemeiner chirurgischer Eingriffe / allgemeiner Medikationen bei SMA-Patienten im Speziellen und die Auswirkung der SMA auf das familiäre Umfeld. Weiter Aspekte sind u. a. Müdigkeit/Erschöpfungszustände im Tagesverlauf, soziale Vereinsamung und Angst, Schwierigkeiten bei der Bewilligung von Rehabilitationsmaßnahmen, und zunehmende Einschränkung der Mundöffnung im Krankheitsverlauf.
Weitere Informationen:
•  Dr. Mary Schroth, American Family Children’s Hospital, University of Wisconsin, Madison WI
•  Dr. van den Engel-Hoek L, Department of Speech Language Therapy, Children Hospital of the Radboud University Nijmegen Medical Centre, Nijmegen, The Netherlands

SMA – aerobes Fitnesstraining: Kann regelmäßiges Fitnesstraining bei SMA-Patienten förderlich sein, und wie kann ein Benefit gemessen werden? Um diese Fragen zu beantworten, wurde bei vierzehn 10-49 jährigen SMA3-Patienten über 18 Monate mittels verschiedener Messwerte alle 2-3 Monate der Einfluss von strukturiertem Fitnesstraining im Vergleich zu normaler körperlicher Aktivität im Rahmen der SMA-Möglichkeiten beobachtet. Anhand z.B. des 6 min walk tests (6MWT, maximale Distanz, die man in 6 Minuten laufen kann) soll die Wirkung des Fitnesstrainings quantifiziert werden. Ergebnisse werden für Dezember 2013 erwartet.
Weitere Informationen:
•  Darryl C. De Vivo, Dept. of Neurology, Columbia Univ Med Center, New York, USA
•  http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01166022

 

MSci Anna Kaczmarek und Dr. med. Raoul Heller
Institut für Humangenetik, Universität zu Köln