Pharmakotherapie bei spinaler Muskelatrophie

Prof. Dr. Brunhilde Wirth
Institut für Humangenetik
Universität Bonn

Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist die zweithäufigste rezessive Erbkrankheit und die häufigste Todesursache – verursacht durch eine erbliche Krankheit- im Kindesalter. Die SMA wird in ca. 94 % durch homozygote Deletionen/Genkonversion des survival motor neuron Gens (SMN1) verursacht, wobei jeder SMA-Patient zwischen 1-4 SMN2-Kopien aufweist. SMN2 unterscheidet sich innerhalb des kodierenden Bereichs von SMN1 lediglich durch einen Nukleotidaustausch, der keine Aminosäureveränderung verursacht. Diese stumme Mutation zerstört jedoch einen exonic splicing enhancer im Exon 7 des SMN2-Gens, wodurch vorwiegend alternativ gespleißte SMN2-Transkripte erzeugt werden, denen Exon 7 fehlt. Wir konnten bereits 3 trans-aktivierende Spleißfaktoren (Htra2-ß1, hnRNP-G und RBM) identifizieren, die bei Überexpression eine über 80 %-ige Revertierung der alternativ gespleißten SMN2-Transkripte in korrekt gespleißte Volllängetransknpte bewirken.

Kürzlich haben wir zeigen können, dass 0,5-500 μM Valproinsäure (VPA) in primären Fibroblastenkulturen sowie in Epstein-Barr-Virus transformierten lymphoblastoiden Zelllinien von SMA-Patienten eine 2 bis 4-fache Revertierung des SMN2-Spleißmusters hervorruft. Es wurde bereits nachgewiesen, dass Natriumbutyrat (NaBu) eine ähnliche Wirkung besitzt. Beide, VPA und NaBu, sind Histon-Deacetylase-Inhibitoren. Wir konnten zeigen, dass die Wirkung auf das SMN2-Spleißen via Htra2-ß1 erfolgt.

VPA wird in der Therapie bei Epilepsie und manisch-depressiven Psychosen seit über 30 Jahren eingesetzt. Da VPA nur selten Nebenwirkungen zeigt sowie pharmakologisch bestens untersucht ist, soll zunächst eine klinische Studie bei 15-20 Eltern von SMA-Patienten durchgeführt werden, um festzustellen, ob die verabreichte VPA-Menge auch in vivo am Menschen eine Revertierung der SMN2-Transkripte im Serum bewirkt. Ist die erste Studie erfolgreich, soll anschließend eine klinische Studie bei 15 SMA-Patienten durchgeführt werden. Verläuft auch diese Studie positiv, soll eine multizentrische Studie erfolgen.

Besonders hervorzuheben ist, dass ein Erfolg dieser klinischen Studie ein erster wichtiger Durchbruch in der Therapie erblicher Krankheiten wäre. SMA wäre somit die erste hereditäre Erkrankung, die durch Wiederherstellung des korrekten Spleißmusters eines Gens, therapiert werden würde. Dabei kommt uns die Tatsache zu Nutze, dass VPA – wie die Therapie bei Epilepsie gezeigt hat – lebenslang dem Menschen verabreicht werden kann.