Die unterschiedliche Wirkung von Valproinsäure in SMA-Patienten
Der Beitrag vom 16. Oktober 2012 in der Fachzeitschrift Human Molecular Genetics „VPA response in SMA is suppressed by the fatty acid translocase CD36“ von Dr. Lutz Garbes et al. Pubmed PMID: 23077215; aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Brunhilde Wirth am Institut für Humangenetik, Universität zu Köln) beschäftigt sich mit der molekularen Ursache der unterschiedlichen Wirksamkeit von Valproinsäure.
Die spinale Muskelatrophie wird durch den (funktionellen) Verlust des SMN1-Gens und den daraus resultierenden Mangel an SMN-Protein verursacht. Jedoch verfügt jeder SMA-Patient über ein bis mehrere Kopien des SMN2-Gens. Dies ist zwar dem SMN1-Gen sehr ähnlich, jedoch produziert es im Vergleich zu SMN1 nur ein Zehntel der Menge an SMN Protein. Daher können die SMN2-Kopien allenfalls nur teilweise den Verlust des SMN1-Gens kompensieren. Theoretisch sollte eine Stimulation von SMN2 den SMN-Proteinspiegel in SMA-Patienten erhöhen und damit – hoffentlich – das Krankheitsbild abmildern. Die sogenannten Histondeacetylase Inhibitoren sind eine Gruppe von Substanzen, die genau dies tun. So konnte zum Beispiel für die Valproinsäure (VPA), ein Medikament, das bereits seit Jahrzehnten in der Epilepsietherapie eingesetzt wird, gezeigt werden, dass es in ca. 1/3 der behandelten SMA-Patienten eine positive Wirkung auf die Aktivität des SMN2-Gens hat. In den restlichen Patienten zeigte die VPA-Gabe jedoch keine bzw. sogar die gegenteilige Wirkung.
Unsere aktuelle Arbeit greift genau diesen Punkt auf und widmet sich zwei Fragekomplexen, die sich aus diesem Befund ergaben. Der Erste befasst sich mit dem Punkt, in wie fern es zulässig ist, von Blutwerten unter VPA-Behandlung Rückschlüsse auf die Wirkung von VPA in anderen Organsystemen zu ziehen. Zu diesem Zweck haben wir von 16 SMA-Patienten, die im Rahmen von individuellen Heilversuchen, mit VPA+L-Carnitin behandelt wurden, Hautzellkulturen angelegt und diese ebenfalls mit VPA behandelt. In 70% der Fälle konnten wir einen ähnlichen Effekt von VPA auf die SMN2-Aktivität feststellen wie im Blut. Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben aus den Hautzellkulturen von zwei Patienten Nervenzellen hergestellt (über den Umweg von sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen) und diese ebenfalls mit VPA behandelt. Erneut zeigte sich eine ähnliche Antwort auf die VPA-Gabe wie in den Hautzellen bzw. im Blut. Obwohl dies natürlich nicht der endgültige Nachweis dafür ist, was unter VPA-Gabe in den Motoneuronen passiert, ist es doch ein starkes Indiz dafür, dass man in der Tat von Blutwerten Rückschlüsse auf die systemische Wirkung von VPA ziehen kann.
Der zweite Teil unserer aktuellen Veröffentlichung beschäftigt sich mit der Frage, warum in einzelnen Patienten VPA nicht die gewünschte Wirkung zeigt. Zur Beantwortung dieser Frage haben wir die Aktivität aller bekannten Gene in den oben bereits erwähnten Hautzellen von SMA-Patienten unter bzw. ohne VPA-Behandlung miteinander verglichen. Im Rahmen dieser Analyse zeigte sich, dass in Hautzellen von SMA-Patienten, die nicht positiv auf VPA reagieren – sogenannte Non-Responder – das CD36-Gen eine stark erhöhte Aktivität zeigt. Das Gen CD36 stellt ein Protein her, dass im Fettstoffwechsel der Zelle eine zentrale Rolle einnimmt. Dies ist insbesondere interessant, da VPA chemisch gesehen eine kurzkettige Fettsäure ist. Dass CD36 kein Zufallsbefund ist, konnten wir beweisen in dem wir die Menge an CD36-Protein in Hautzellen verringerten; Taten wir dies, so reagierten Hautzellen von Non-Responder positiv auf VPA-Gabe – sie wurden somit Positive-Responder.
Leider gibt es derzeit noch kein „CD36-Medikament“, das man ggf. als Additiv zur VPA-Therapie geben könnte, so dass VPA in allen SMA-Patienten die Aktivität der SMN2-Kopien erhöht. Jedoch ist unsere aktuelle Arbeit ein erster Schritt in die Richtung einer personalisierten Medizin. So mag es in Zukunft möglich sein, durch Analyse des CD36-Gens eventuell vor Beginn der VPA-Therapie diejenigen SMA-Patienten zu identifizieren, bei denen VPA einen positiven Effekt haben könnte.
Diese Arbeit wurde über Gelder der deutschen Initiative “Forschung und Therapie für SMA“, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Zentrums für molekulare Medizin Köln (ZMMK) finanziert.
Dr. Lutz Garbes & Prof. Dr. Brunhilde Wirth
Institut für Humangenetik, Universität zu Köln
www.humangenetik.uni-koeln.de