Ziele und Ablauf einer klinischen Studie
Nachdem es schon einige klinische Studien bei seltenen Muskelkrankheiten gibt, wie zum Beispiel der Spinalen Muskelatrophie und der Muskeldystrophie Duchenne, und sicherlich weitere folgen werden, ist es an der Zeit, sich mit klinischen Studien näher zu beschäftigen.
Im Rahmen der Entwicklung einer neuen Therapie stellen klinische Studien den letzten Schritt in einer langen Entwicklungsreihe zum fertigen Medikament dar. Die Grundlage für eine klinische Studie bilden im Vorfeld durchgeführte Laborexperimente und im Anschluss daran Experimente an Labortieren. Wenn eine bestimmte Substanz im Labortiermodell eine gewisse Wirksamkeit zeigt, ist damit jedoch noch längst nicht bewiesen, dass diese Substanz auch beim Menschen die gewünschte Wirksamkeit hat. Wenn dies so wäre, bräuchte man keine klinische Studie durchführen, sondern könnte das Medikament sofort bei allen Menschen mit dieser Erkrankung einsetzen. Im menschlichen Organismus herrschen jedoch andere Bedingungen als im Reagenzglas oder in einem Labortier!
Eine klinische Studie wird mit gesunden Probanden und mit Patienten durchgeführt. Grundsätzlich sollen durch eine klinische Studie ein Wirkstoff, eine bestimmte Behandlungsform oder ein medizinischer Eingriff auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden. Das Ziel einer klinischen Studie ist also nicht die persönliche Behandlung eines Patienten sondern der Nachweis der Wirksamkeit (oder Unwirksamkeit) einer Substanz.
Der zu prüfende Wirkstoff hat, bevor er in klinischen Studien getestet wird, schon etwa ein Jahrzehnt präklinische Studien (Laborphase) durchlaufen. Nur ca. 8 % aller an Menschen getesteten Wirkstoffe haben eine Chance, von den Behörden die Zulassung zu erlangen. Das trifft auch für Wirkstoffe bei seltenen Erkrankungen zu! Ursachen hierfür sind in den meisten Fällen mangelnde Wirksamkeit oder ungünstige Aufnahme, Verteilung und Abbau des Wirkstoffes im menschlichen Organismus (Pharmakokinetik). Seltenere Gründe können unerwartete Nebenwirkungen sein.
Wenn eine Substanz in der präklinischen Phase gezeigt hat, dass sie eine gewisse Wirksamkeit zur Linderung der Symptome oder positive Veränderung im Verlauf einer bestimmte Erkrankung bei Labortieren zeigt und sicher genug in der Anwendung zu sein scheint, kann der Wirkstoff am Menschen getestet werden. Um eine Zulassung des Wirkstoffes als Medikament zu bekommen, müssen klinische Studien mit festgelegten Phasen durchgeführt werden.
Ablauf klinischer Studien
Im Vorfeld der Studie macht sich das Studienteam, bestehend aus Ärzten, Studienkoordinatoren und Statistikern Gedanken über den Studienablauf, den Nachweis der Wirksamkeit des zu prüfenden Wirkstoffes und über die Anzahl der benötigten Patienten.
Im nächsten Schritt wird ein Studienprotokoll erstellt, in dem die Bedingungen für eine Studienteilnahme und die genaue Durchführung der Studie festlegt werden. Im Studienprotokoll sind festgehalten: Anzahl der Patienten, Ein- und Ausschlusskriterien wie zum Beispiel Alter und Geschlecht, Hinweise zum Studienmedikament, Dauer der Studie und die verschiedenen Untersuchungen zur Sicherheit und Effektivität des Medikamentes. Des Weiteren werden im Protokoll auch die Höhe der Medikamentendosis und die Häufigkeit der Untersuchungen festgelegt.
Durch die Ein- und Ausschlusskriterien wird sichergestellt, dass eine homogene, vergleichbare Gruppe mit den gleichen Voraussetzungen entsteht. Alle Studienteilnehmer durchlaufen durch das Studienprotokoll vorgegebene Untersuchungen zu definierten Zeitpunkten. Jeder Studienteilnehmer wird in regelmäßigen Abständen untersucht, um eventuelle Wirkungen und Nebenwirkungen festzustellen. Zu den Sicherheitsuntersuchungen gehören unter anderem Blutabnahmen, Urinkontrollen, EKG´s und Blutdruckmessungen.
Phase I
In dieser ersten Phase wird die bestimmte Substanz (Arzneistoff) zum ersten Mal an Menschen getestet. Es wird geprüft, ob sich die Vorhersagen aus den Tierversuchen über Aufnahme, Verteilung, Abbau und Ausscheidung des Wirkstoffes bestätigen lassen. Ferner wird registriert, wie gut der Wirkstoff vertragen wird und mit welcher Dosierung gearbeitet werden kann. Im Verlauf der Phase I wirken typischerweise 40 bis 80 Probanden an den Versuchen mit (in der Regel junge, gesunde, meist männliche Erwachsene).
Aus diesen Daten der Phase I-Studien wird die Darreichungsform entwickelt, mit der aus dem Arzneistoff das eigentliche Medikament wird. Mögliche Darreichungsformen sind unter anderem Tabletten, Kapseln, Zäpfchen, Injektionslösungen, Cremes, Aerosole oder Wirkstoffpflaster. Die Darreichungsform trägt maßgeblich dazu bei, wie schnell und zu verlässig ein Wirkstoff die Stellen des Körpers erreicht, wo er wirken soll.
Phase II
Wenn eine Substanz gezeigt hat, dass sie sicher in der Anwendung zu sein scheint, muss sie nun in der Phase II auf ihre Wirksamkeit getestet werden. Bei den meisten Phase II-Studien werden nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen gebildet. Die eine Gruppe erhält das zu testende Medikament, die andere Gruppe ein Scheinmedikament, ein so genanntes Placebo. Idealerweise sollte es so sein, dass weder der Arzt noch der Patient wissen, wer das Studienmedikament und wer das Placebo bekommt. Diese Art von Studie wird „Doppelblind-Studie“ genannt. In dieser Phase wird der mögliche Arzneistoff erstmalig an Patienten eingesetzt, die an der Zielerkrankung leiden.
Wenn sich hier ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigt, ist eine Wirksamkeit nachgewiesen. Diese Phase kann mehrere Monate bis zu mehreren Jahren dauern.
Im Rahmen der Phase II-Studien kooperieren Hersteller mit Kliniken und anderen medizinischen Einrichtungen. Typischerweise nehmen 100 bis 500 freiwillige Patienten als Studienteilnehmer an den Untersuchungen teil. In dieser Phase wird geprüft,
– ob sich der gewünschte therapeutische Effekt zeigt (Wirksamkeit),
– welche Nebenwirkungen auftreten (Verträglichkeit),
– welche Dosierung am Besten ist (Dosisfindung).
Phase II-Studien kann man weiter unterteilen in:
– Phase IIa-Studien: Sie dienen der Überprüfung des Therapiekonzepts („Proof of Concept“)
– Phase IIb-Studien: Sie dienen der Festlegung der geeigneten Therapiedosis („Dose Finding“).
Phase III
Phase III-Studien sind klinische Studien, bei denen das Arzneimittel an einem größeren Patientenkollektiv erprobt wird, um zu sehen, ob sich die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit auch bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lässt („Proof of Concept of Clinical Efficacy and Safety“). Bei Phase III-Studien liegt das Hauptaugenmerk auf dem signifikanten Wirkungsnachweis und den Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Um die Signifikanz nachweisen zu können, sind größere Patientenzahlen erforderlich. In Phase III-Studien können daher – abhängig von der geprüften Indikation – mehrere Tausend Patienten einbezogen sein.
Nach positivem Abschluss der Phase III erlangt das Arzneimittel nach Antragstellung die Zulassung durch die zuständige Arzneimittelbehörde.
Erforderliche Abweichungen von herkömmlichen Studienphasen
In einigen klinischen Studien mit seltenen Muskelkrankheiten wie zum Beispiel der Spinalen Muskelatrophie und der Muskeldystrophie Duchenne sind Abweichungen von den üblichen klinischen Phasen erforderlich.
Zum einen geht es hier um Studien an Patienten mit seltenen Erkrankungen. Dies bedeutet, dass es im Verhältnis zu normalen Studiengrößen eine viel kleinere Anzahl an möglichen Studienteilnehmern gibt und trotzdem die Wirksamkeit des Prüfmedikamentes nachgewiesen werden muss. Aus diesem Grund bedarf es einer guten statistischen Planung. Zum Erreichen der benötigten Patientenanzahl werden daher meist internationale Studien durchgeführt. Auch gelten für die Zulassung besondere Bedingungen auf Grund der kleinen Patientenanzahl.
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass das Studienmedikament schon in Phase I direkt am Patienten getestet wird. Hier bekommt jeder Studienteilnehmer das Prüfmedikament. Dies gilt für die neu entwickelten Ansätze zur Behandlung von Duchenne mit Exon Skipping und von SMA mit Antisense-Nukleotiden. Aus ethischen Gründen können diese Prüfmedikamente nicht an gesunden Freiwilligen getestet werden, da kein Wirkungsnachweis in gewünschter Weise erbracht werden kann. Ebenso sind aus ethischen Gründen Prüfungen von Studienmedikamenten an gesunden Kindern generell ausgeschlossen.
Die Art der Studiendurchführung für Phase II bleibt gleich. Auch bei Studien mit kleinen Fallzahlen gibt es zwei Studienarme, in die der Studienteilnehmer zufällig eingeteilt, randomisiert wird. Eine Gruppe bekommt das Prüfmedikament und die andere Gruppe bekommt ein Placebo. Durch diesen Sachverhalt wird klar, dass man als Studienteilnehmer nicht automatisch eine gezielte Therapie seiner Erkrankung bekommt. Weitere Gesichtspunkte, die bedacht werden sollten, sind – neben einer möglichen Behandlung der Erkrankung – familiäre Belastungen (Fahrten zum Prüfzentrum, ein Elternteil benötigt evtl. Urlaub für die Studientage, die Versorgung der Familie muss organisiert werden, usw.) und mögliche weitere Kosten.
Abschließend ist klar hervorzuheben, dass eine Studienteilnahme freiwillig ist. Es gibt innerhalb der Studie keine Garantie für eine erfolgreiche Behandlung einer bestimmten Erkrankung. Aber zu betonen ist auch die Chance, die sich den Patienten bietet, evtl. eine möglichst frühe, wirksame Behandlung für ihre Erkrankung zu erhalten.
Sie sind frei zu entscheiden, was für Sie und ihr Kind und ihre Familie das Beste ist.
Dr. Meike Will
Universitätstsklinikum Freiburg
Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Klinik II Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen