Finanzielle Förderung der Einrichtung eines deutschen SMA-Patientenregisters als Teil eines europäischen Projektes

PD Dr. Maggie Walter,  Dr. Sarah Baumeister und Prof. Dr. Hanns Lochmüller
Friedrich-Baur-Institut
Klinikum der Ludwigs-Maximilians-Universität München

 

Bislang ist die spinale Muskelatrophie (SMA) nicht heilbar oder befriedigend behandelbar, obschon medizinische Fortschritte der letzten beiden Jahrzehnte zu verbesserten symptomatischen Maßnahmen und damit auch zu Verbesserung der Lebenserwartung und Lebensqualität geführt haben. Neue therapeutische Konzepte (wie Valproinsäure; Histondeacetylaseinhibitoren; etc) wurden in den letzten Jahren im Reagenzglas, in Zellkulturen und Tiermodellen entwickelt und getestet, stehen allerdings den Patienten mit SMA noch nicht zur Verfügung. Um neue Therapieansätze verfügbar zu machen, müssen sie zunächst in aufwändigen, klinischen Studien an SMA-Patienten auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit hin untersucht werden. Hierfür sind meist große Patientenzahlen mit genau definierten Einschluss- und Ausschlusskriterien erforderlich. Erst nach erfolgreicher klinischer Prüfung kann ein neues Medikament durch die europäischen Behörden (EMEA) zugelassen werden und allen Patienten zu Gute kommen.

Für die Planung und Durchführung klinischer Studien sind sogenannte Patientenregister bzw. Datenbanken eine unabdingbare Voraussetzung. Diese Register erfassen neben persönlichen Daten (wie Name, Adresse, Geburtsdatum) in erster Linie genetische und klinische Daten, die für die Planung und den Einschluss in klinische Studien erforderlich sind. Zusätzlich können derartige Register aber auch Aufschluss geben über die Häufigkeit der Erkrankung, den Verlauf, die derzeit effektiv genutzten  herapiemöglichkeiten und mögliche andere Einflussfaktoren. Diese Daten sind von grundsätzlichem medizinisch-wissenschaftlichem Interesse, sie sind aber auch wichtige Instrumente in der politischen Meinungsbildung (Lobby-Arbeit), in der Öffentlichkeitsarbeit und helfen bei der Akquirierung dringend benötigter, zusätzlicher öffentlicher Gelder für die Forschung und Versorgung.

Selbstverständlich muss dabei allen Gesichtspunkten des Datenschutzes (z.B. Anonymisierung der Personen-bezogenen Daten) und der Ethik (z.B. Entscheidung über die Verwendung der Daten) Rechnung getragen werden, um eine fehlerhafte oder missbräuchliche Nutzung der Daten zu verhindern.

Im Rahmen des europäischen Netzwerks TREAT-NMD (www.treat-nmd.eu), das zum 1. Januar 2007 seine Arbeit aufgenommen hat und von der Europäischen Kommission (EC) über 5 Jahre mit insgesamt 10 Millionen Euro gefördert wird, werden  uropäische Datenbanken für SMA und DMD (Duchenne Muskeldystrophie) aufgebaut. Professor Lochmüller ist Leiter der Aktivität zu „Europäischen Bio- und Datenbanken“ im TREATNMD Konsortium. Ursprünglich war geplant, insgesamt fünf nationale Datenbanken einzurichten, die von Deutschland, Großbritannien, Ungarn, Frankreich und Italien aus europäische Patienten registrieren sollten. Die Daten dieser Patienten sollten dann unter Verwendung von Pseudonymen in eine europäische Datenbank mit Sitz in Montpellier, Frankreich, eingespeist werden, auf die Wissenschaftler zur Planung von klinischen Studien Zugriff erlangen können. Das internationale Interesse an dieser Aktivität im Rahmen von TREAT-NMD war jedoch in den letzten Monaten so groß, dass mittlerweile insgesamt 19 nationale Datenbanken teilnehmen, unter anderem auch aus den USA, Kanada, Australien und Japan. Es handelt sich zum Teil um bereits existierende Datenbank-Projekte, wie das Internationale SMA Register der Universität von Indiana, USA; die meisten Datenbanken werden jedoch neu eingerichtet (www.treat-nmd.eu/registries). Im Rahmen von Diskussionen und Workshops haben sich internationale Experten auf verbindliche und harmonisierte klinische und genetische Daten geeinigt, um die Planung von klinischen Studien zu erleichtern. Diese Daten werden von allen teilnehmenden Datenbanken gespeichert und an die zentrale Datenbank in Montpellier weitergeleitet. Selbstverständlich müssen in den teilnehmenden Projekten auch ethische und rechtliche Regelungen beachtet werden. Hierfür ist es unter anderem erforderlich, dass alle nationalen Patientenregister ein lokales Ethikvotum einholen. Zugangsberechtigungen für Dritte auf die Daten der zentralen Datenbank in Montpellier werden durch eine „Charter“ reguliert, die Anfang 2008 verabschiedet werden soll. Ein „Oversight Committee“, das zusammengesetzt ist aus Wissenschaftlern, Ärzten und Repräsentanten von  Patientenorganisationen, entscheidet über die Nutzung der Daten durch akademische Forschung und Industrie. Eine limitierte Pilotstudie mit SMA-Patienten in England hat eine sehr hohe Akzeptanz für die Einrichtung eines Patientenregisters und eine hohe Bereitschaft zur Teilnahme daran gezeigt. Die beigefügten Erklärungen waren gut verständlich und der Registrierungsprozess inklusive des Studiums der Anleitungen, Erklärungen und Einverständniserklärungen in der Regel zwischen 30 und 60 Minuten zu bewerkstelligen, was von den Familien als zumutbare Belastung empfunden wurde.

Bisher existiert in Deutschland ein derartiges Patientenregister für SMA noch nicht. Daher beantragen wir von der „Initiative Forschung und Therapie für SMA“ eine Projektförderung, um möglichst rasch und effizient eine Datenbank für SMA Patienten aufzubauen und diese langfristig zu unterhalten. Im April 2007 wurde von Herrn Prof. Lochmüller bereits ein Antrag bei der „Initiative Forschung und Therapie für SMA“ gestellt. Da Herr Prof. Lochmüller seit September 2007 in Newcastle, UK, arbeitet, wird das Projekt nun vor Ort durch Frau Dr Baumeister und Frau PD Walter geleitet. Offizieller Sitz der deutschen Patientenregister für SMA und DMD ist das Friedrich-Baur-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die deutschen Register sind von vornherein mit dem europäischen Register voll kompatibel, um eine Teilnahme deutscher SMA-Patienten an internationalen Studien zu ermöglichen. Das Konzept für die deutschen Patienten-Register für SMA und DMD sieht vor, dass die Patienten bzw. die Eltern die Registrierung selbst vornehmen können. Die Patienten bzw. ihre Eltern können sich im Internet unter www.treatnmd.de über das Projekt informieren, den Fragebogen online ausfüllen und die Einverständniserklärung und den genetischen Befund nach München schicken. In München wird ein Kurator die Daten überprüfen, die Übermittlung der pseudonymisierten Daten nach Montpellier sicherstellen und für Rückfragen von Seiten der Patienten zur Verfügung stehen. Alle für die Registrierung notwendigen Formulare, die Einverständniserklärung und das Informationsmaterial liegen vor (siehe Anlagen), die Einhaltung der Richtlinien zum Datenschutz und eine sichere Datenübertragung sind selbstverständlich. Ein positives Ethikvotum durch die Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität München liegt bereits vor (siehe Anlage). Die Internet-basierte Registrierung der ersten SMA-Patienten wird ab Januar/Februar 2008 möglich sein.

Über die Europäische Kommission (EC) wird innerhalb des 1. Förderzeitraums von TREATNMD für 18 Monate (ab Oktober 2007) eine halbe Kuratorenstelle für die deutschen DMD und SMA Patientenregister zur Verfügung gestellt. Diese Stelle ist seit Oktober 2007 mit Frau Simone Thiele besetzt, die als ausgebildete Physiotherapeutin über eine langjährige Erfahrung mit Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen verfügt und auch als „study nurse“ an klinischen Studien mitgewirkt hat. Die Finanzierung der Stelle in der 2. Förderperiode ist voraussichtlich gesichert, hängt aber noch von einer Überprüfung durch die EC des Projektfortschritts gegen Ende der ersten Förderperiode (Juni 2008) ab. Kuratoren übernehmen die Kommunikation und Information von Patienten, Eltern und Ärzten, prüfen die Daten und geben Teile der Daten in die Datenbank ein. Nachdem für Deutschland mit mehreren 1000 DMD- und SMA-Patienten gerechnet wird, ist unseres Erachtens ein einzelner Kurator in Teilzeitbeschäftigung nicht in der Lage, die Daten komplett und in einem angemessenen Zeitraum zu erfassen.