19. jährliches ForscherInnen-Treffen der amerikanischen PatientInnen-Organisation Cure SMA
von M.Sc. Miriam Peters
und Dr.rer.nat. Niko Hensel
Die jährliche Konferenz der US-amerikanischen PatientInnen-Organisation Cure SMA ist das weltweit größte Treffen von SMA-PatientInnen, Angehörigen und ForscherInnen. Neben Vorträgen und Workshops, die sich an PatientInnen und ihre Angehörigen richten, wird auch eine wissenschaftliche Konferenz ausgerichtet. In Form von Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Posterpräsentationen findet ein wichtiger Austausch noch unveröffentlichter Daten statt. Die interessantesten Studien zur prä-klinischen und klinischen Forschung sind an dieser Stelle zusammengefasst. Die neuesten Ergebnisse aus der Grundlagenforschung sind in einem ausführlichen Anhang dargelegt.
1. Neugeborenen-Screening für SMA
Zurzeit gibt es auch in den USA noch keine Untersuchung auf SMA, die standardisiert und unabhängig von einem konkreten Verdacht bei allen Neugeborenen durchgeführt wird (Neugeborenen-Screening). Alle bisherigen Untersuchungen potentieller Therapeutika in SMA-Mausmodellen zeigen, dass sich eine frühe Behandlung positiv auf den Therapieerfolg auswirkt. Sobald ein wirksames Medikament zugelassen ist, stellt sich daher die Frage, ob solch ein Screening eingeführt werden sollte. Thomas Murray stellt in seinem Vortrag die ethischen und rechtlichen Aspekte eines Neugeborenen-Screenings vor, während Kathryn Swoboda von den praktischen Problemen berichtet, welche sich in einem Testlauf für ein solches Screening ergeben haben. Ein ethisches Problem liegt darin begründet, dass viele Millionen Neugeborene ohne Einverständnis der Eltern getestet werden. Obwohl genetische Tests minimalinvasiv sind, stellt dies eine Grundrechts-Einschränkung dar und ist nur mit dem Kindeswohl zu begründen. Daher sollte ein Neugeborenen-Screening nach US-amerikanischen Recht folgende Eigenschaften erfüllen: 1. Der Screening-test muss spezifisch und sensitiv sein, 2. die Symptome der Krankheit und die Folgen der Krankheit für die Patienten müssen gut bekannt und vorhersehbar sein und 3. eine effektive Therapie muss vorhanden sein. Dabei sollte 4. eine frühe Intervention effektiver als eine späte sein. Bis auf Punkt drei erfüllt die SMA alle Voraussetzungen, um in das Neugeborenen-Screening aufgenommen zu werden.
In einem Testlauf sollte das Screening auf SMA an verschiedenen Krankenhäusern eingeführt werden, was allerdings zu ethischen und rechtlichen Problemen führte: Obwohl sich die große Mehrheit der Eltern von SMA-Patienten in einer Befragung eine frühere Diagnose gewünscht hätten, gab es eine beträchtliche Anzahl von Eltern, die auf eine symptomfreie und unbeschwert von einer SMA-Diagnose verbrachten Zeit mit ihrem Kind nicht hätten verzichten wollen. Bei Eltern, deren Kinder nicht an SMA-erkrankt waren, denen die Situation jedoch erklärt wurde, war dieser Anteil noch höher. Das Screening wurde daher nur mit einer vollen schriftlichen Einverständnis-Erklärung der Eltern durchgeführt, was dann allerdings zu einer geringen Anzahl teilnehmender Eltern geführt hatte. Auch haben einige Kliniken aus Angst vor Klagen ihre Teilnahme an dem Versuch zurückgezogen.
2. Psychosoziale Folgen der SMA für PatientInnen und ihre Angehörigen
Während das genetische Profil und die klinischen Merkmale der SMA relativ klar definiert und in der Literatur beschrieben sind, wurde bisher kein Augenmerk auf die einzelnen Patienten und Familien von SMA-Erkrankten gerichtet. Diese können mit ihrem Erfahrungshorizont dazu beitragen, die Situation von gerade erst diagnostizierten Betroffenen und deren Familien zu erleichtern. Um dies zu erfassen, wurden Interviews mit SMA-Patienten (Typen I, II und III) sowie deren Familien durchgeführt. Darin wurden deren Erfahrung mit Diagnoseverfahren, psychosozialem Einfluss auf das Alltagsleben und technologischen Verbesserungen zur Förderung der Patientenmobilität ausgewertet. Angefangen von der Zeit, die bis zu einer klaren SMA-Diagnose verstreicht (deshalb sprachen sich viele sehr positiv bzgl. der Neugeborenen-Screenings aus), bis hin zu den einzelnen psychosozialen Effekten, die das Leben mit der SMA mit sich bringt, wurde die Belastungserfahrung von PatientInnen und Angehörigen als sehr hoch eingestuft. Diese könne selbst durch die kleinste technologische Verbesserung im Bereich der Patientenmobiltät erleichtert werden, da jeder kleine Fortschritt ein Schritt mehr in Richtung funktionaler Verbesserung im Alltag bedeutet.
Um die größte Belastung durch die Erkrankung zu identifizieren, wurden die Symptome und die Probleme im alltäglichen Leben von Patienten zusammengestellt. Am häufigstem genannt wurden: Bewegungen, die notwendig sind, um für die persönliche Hygiene zu sorgen, bereiten oftmals Schwierigkeiten (32 Patienten); schwere Gegenstände mit den Armen zu tragen (20 Patienten); sich zu bekleiden (32 Patienten); Gehbehinderung (23 Patienten); eingeschränkte Unabhängigkeit (22 Patienten); Schwierigkeit einen Stift zu halten (19 Patienten); eine zunehmende Abhängigkeit von Familienmitgliedern (19 Patienten); Schwäche in den Armen (19 Patienten) und sich selbst die Nahrung anzureichen (19 Patienten).
3. Die Entwicklung neuer Medikamente und prä-klinische Studien
Bevor eine klinische Studie an Menschen durchgeführt wird, werden potentielle Medikament in einer sogenannten prä-klinischen Studie im Tierversuch getestet. Welche neuen prä-klinischen Studien gibt es?
3.1 Eine neue Klasse von Biomolekülen ist an der Regulation der SMN-Menge beteiligt und kann als potenzielles Medikament verwendet werden
SMA wird durch zu geringe Mengen an SMN-Protein verursacht. In den Körperzellen, auch den Motoneuronen, dienen spezifische Ribonucleinsäuren (mRNA- Moleküle) als „Bauplan“ für das SMN-Protein. Erhöht man die Menge dieser SMN-mRNA erhöht sich auch die Menge des SMN-Proteins. In gesunden Personen wie auch in SMA-PatientInnen wird die SMN-mRNA ständig abgebaut und neu hergestellt. Verstärkt man die Herstellung an SMN-mRNA, erhöht sich auch dessen Gesamtmenge und damit auch die Menge an SMN-Protein. Carolin Woo (RaNA Therapeutics Cambridge) berichtet von einer neuen Klasse von Biomolekülen, sogenannte long non-coding RNAs, mit denen man genau das erreichen kann, eine verstärkte Produktion von SMN-mRNA. Interessanterweise waren diese im Vergleich mit anderen potentiellen Therapeutika, welche die SMN-Proteinmenge erhöhen, deutlich effektiver. Ein Tierversuch mit diesem potentiellen Medikament steht allerdings noch an.
3.2 Entwicklung und Validierung einer neuen Serie von Morpholino Antisense Oligonukleotiden (ASOs)
Therapeutische Ansätze der SMA, die das SMN2-Splicing verändern, haben sich in vielen Studien als sehr vielversprechend erwiesen (vergleiche auch Anhang, 6. und 6.1). Dazu zählen auch Antisense Oligonukleotide (ASOs), die dazu in der Lage sind, an eine spezifische Regionen in der SMN2-mRNA zu binden und dadurch die korrekte Herstellung von SMN-Protein zu verstärken. Nun wurde, so berichtet Christian L. Lorson, eine weitere Region der SMN2-mRNA als neues therapeutisches Ziel untersucht, um den pharmazeutischen Therapieansatz für die SMA zu erweitern. In der Tat konnte dadurch ein neues ASO gefunden werden, welches die SMN-Proteinmenge im SMA Mausmodell erhöhen konnte. Die Studie der Arbeitsgruppe um Christian L. Lorson zeigt, dass es einige Abschnitte der SMN2-mRNA gibt, die für neue therapeutische Strategien geeignet sind. In der Zukunft könnten dann verschiedene ASOs, die an unterschiedliche Regionen in der SMN2-mRNA binden, miteinander kombiniert werden, um einen möglichst großen Effekt auf die SMN-Proteinmenge zu erzielen.
Weitere prä-klinische Studien im Anhang:
3.3 Small molecules
3.4 Repurposed drugs
4. Klinische Studien
Bei klinischen Studien werden potentielle Therapeutika auf ihre Wirksamkeit im Menschen getestet. In der Regel müssen solche Studien bestimmte Phasen durchlaufen, in denen jeweils verschiedene Aspekte getestet werden: In Phase I-Studien wird die die Haltbarkeit des Medikamentes im Körper sowie die Verträglichkeit getestet. In Phase II wird eine geeignete Dosis ermittelt. Außerdem sollten positive Effekte beobachtbar sein. Phase III-Studien sind meist Placebo-kontrolliert und doppelt verblindet, d.h. eine Teil-Gruppe der PatientInnen bekommt keinen Wirkstoff, sondern lediglich die Trägersubstanz. Zudem wissen weder die verabreichende Person noch der/die PatientIn, ob es sich um eine Wirkstoff-freie Formulierung handelt oder um ein Medikament. Nur so kann die Wirksamkeit nachgewiesen werden. Erst wenn diese klinischen Phasen mit positivem Ergebnis abgeschlossen sind, kann das Medikament zugelassen werden.
4.1 Eine Behandlung von SMA-Typ 3 PatientInnen mit einem Kaliumkanal-Blocker führt zu leichten Verbesserungen
In vielen Studien an SMA-Modellmäusen konnte bereits eine verminderte Signalweiterleitung an das Motoneuron gezeigt werden. So sind z.B. die Kontakte zwischen sensiblen Neuronen und Motoneuronen verringert, was zu Störungen im Reflexbogen führt (vgl. 1.9 und 2.3). Bei Kaliumkanal-Blockern handelt es sich um eine Klasse von Medikamenten, welche die Signalweiterleitung teilweise wiederherstellen können, und unter anderem in der Behandlung von Multipler Sklerose eingesetzt werden. Claudia Chiriboga berichtet von einer klinischen Pilotstudie an SMA-Typ 3 PatientInnen bei denen die Verabreichung eines solchen Medikamentes zu einer leichten Verbesserung der Signalweiterleitung geführt hat. Dies war durch elektrophysiologische Messungen deutlich geworden, bei denen die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen gemessen werden kann. Allerdings kam es zu keiner messbaren Verbesserung der motorischen Fähigkeiten.
4.2 Gentherapie mittels Adeno-Assoziiertem Virus (AAV)
Viren sind dazu in der Lage, unsere Körperzellen so zu manipulieren, dass diese das Virus herstellen. Bestimmte Viren können jedoch auch so manipuliert werden, dass sie keine Krankheit mehr verursachen und die Zellen statt Virus das SMN-Protein herstellen. Weil das Virus die Zellen auf genetischer Ebene verändert, spricht man dann auch von einer Gentherapie. Dabei ergeben sich jedoch einige Fragen. Wie kommt das Virus am besten zu den Motoneuronen? Was passiert wenn das Immunsystem des Körpers den therapeutischen Virus bekämpft? Brian Kaspar und Jerry Mendell berichten von einer prä-klinischen und einer klinischen Studie bei denen ein Adeno-Assoziierter Virus (AAV) verwendet wurde, um die SMN-Proteinmenge zu erhöhen. In der prä-klinischen Studie wurde der Frage nachgegangen, ob eine Applikation in den Liquor, der das Rückenmark umhüllt, zu einer verstärkten Menge an SMN-Protein in Motoneuronen führt. In der Tat konnte ein solcher Effekt in SMA-Modellmäusen und nicht-Hominiden Primaten nachgewiesen werden. Betrachtet man das Überleben sowie die motorischen Fähigkeiten von SMA-Mäusen zeigten sich zwar beeindruckende Verbesserung; bei einer systemischen Gabe des Virus in den Blutkreislauf waren die Effekte jedoch noch deutlicher. Dies deutet darauf hin, dass noch andere Zellen neben den Motoneuronen an der Pathogenese der SMA beteiligt sind und diese über eine systemische Gabe besser erreicht werden können. Trotzdem stellt die Liquor-Applikation eine vielversprechende Strategie dar und kann eine wertvolle Ergänzung zur systemischen Gabe sein: Bei PatientInnen deren Immunsystem das Virus bekämpft, mag die Liquor-Applikation von Vorteil sein. Ein Antrag auf eine klinische Studie steht daher vor der Einreichung.
Die systemische Verabreichung eines therapeutischen AAV-Virus wird bereits getestet. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Phase I-Studie an SMA-Typ 1 Patienten. In Phase 1-Studien steht die Sicherheit eines Medikamentes im Vordergrund. Dazu wurden insgesamt 9 Typ 1-PatientInnen mit unterschiedlichen Dosen des Virus behandelt (Dosis-Eskalations-Studie). In dieser kleinen Gruppe konnten keine schweren Nebenwirkungen beobachtet werden. Ein Patient entwickelte allerdings eine Immunreaktion gegen das Virus, welche durch die Gabe eines Immun-Suppressivums unterdrückt werden konnte. Ein Nachweis der Wirksamkeit findet in dieser Phase der klinischen Studie nicht statt. Dazu ist die Gruppengröße zu klein, auch fehlt eine Kontrollgruppe. Zudem erfolgte die letzte Behandlung erst Mitte Juni, es ist also noch zu früh, um etwaige Effekte bei allen Behandelten nachzuweisen. Interessant war, dass der jüngste Patient relativ gute motorische Fähigkeiten hatte und bisher eine gute Kontrolle der Halsmuskulatur entwickeln konnte. Ob dies der Behandlung geschuldet ist, lässt sich aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
4.3 Entwicklung eines ISIS-SMNRX (ASO) für die Behandlung der SMA
Frank Bennett von ISIS Pharmaceuticals berichtet von klinischen Studien an SMA-PatientInnen, in denen spezifische ASOs verwendete wurden, die zum Einbau des Exon 7 des SMN2-Gens führen und somit zur Produktion eines funktionsfähigen Proteins voller Länge (vergleiche auch 6.4 im Anhang). Zuvor waren diese ASOs nicht nur an Hautzellen von Patienten und in einem SMA Mausmodell, sondern auch an einem SMA- Schweinemodell und nicht-menschlichen Primaten getestet worden. In allen Modellorganismen zeigte der ISIS-SMNRx (ASO) dabei eine positive Wirkung auf die SMA. Dies war der erste Schritt für klinische Studien, deren Phase II an 8 Typ-1 SMA PatientInnen abgeschlossen ist.
4.4 SMN2 Splicing Korrektur-Molekül RG7800 zeigt eine Dosis-abhängige Zunahme des funktionsfähigen SMN2 in einer ersten Studie am Menschen (Roche: Phase 1 & 2 „Moonfish study“)
RG7800 ist ein oral verabreichbares „kleines Splicing Korrektur-Molekül“, dass das Exon 7 des SMN2-Gens erfolgreich integriert und somit zur Produktion des funktionalen SMN-Proteins voller Länge führt. Heidemarie Kletzl von Roche berichtet von einer ersten Studie (Phase I), in der der Wirkstoff an gesunden Probanden auf seine Sicherheit und die pharmakologischen Eigenschaften getestet wurde. Die Substanz wurde gut von den Probanden vertragen und in allen Dosissteigerungen toleriert. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Grippe-ähnliche Symptome, Rücken- und Muskelschmerzen. Allerdings traten diese auch in einer Placebo-Kontrollgruppe auf und führten daher nicht zum Abbruch der Studie. Daneben wurden keine bedenklichen Abweichungen bzgl. der Normalwerte für Vitalfunktion des Körpers, Laborsicherheitstests und EKG festgestellt. Die Blutplasma-Halbwertszeit betrug 120 Stunden. Die Wirkung von RG7800 konnte Dosis-abhängig bestätigt werden. Sicherheit, Pharmakodynamik und Pharmakokinetik des Wirkstoffes unterstützen in vollem Maß die weitere klinische Entwicklung von RG7800 zur Behandlung der SMA. Auf Nachfrage wird allerdings berichtet, dass eine Phase I-Studie an SMA-PatientInnen mit diesem Wirkstoff unterbrochen wurde. Der Grund dafür seien toxische Effekte, welche in einer parallel verlaufenden Studie an nicht-humanen Primaten beobachtet wurden. Diese seien jedoch bei höheren Dosierungen aufgetreten und die Sicherheit der PatientInnen in der Phase I-Studie sei nicht gefährdet gewesen.
Neues aus der Grundlagenforschung:
5. Pathologie der SMA
siehe Anhang
6. Das SMN Protein und seine molekularen Interaktionspartner
siehe Anhang