Fortschritte und Aussichten in der SMA-Forschung
Der folgende Text gibt eine Übersicht über den aktuellen Stand der Therapieentwicklung für SMA und ist in großen Teilen eine Übersetzung der am 12.10.2011 in Discovery Medicine (PMID: 22031667) von Dr. James P. Van Meerbeke und Dr. Charlotte J. Sumner , The Johns Hopkins University School of Medicine, Baltimore, USA, veröffentlichten Zusammenfassung „Progress and Promise: The Current Status of Spinal Muscular Atrophy Therapeutics“. Zum Zwecke einfacher Verständlichkeit wurden einzelne Passagen der Originalarbeit abgeändert oder zusätzliche Erläuterungen eingefügt.
1 Einleitung – Pathomechanismus und molekulare Grundlagen
Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine rezessiv vererbbare Erkrankung ist durch den Verlust der Motoneurone (Wichtig für die Reizweiterleitung von Signalen aus dem Gehirn zu den Muskeln) im Rückenmark gekennzeichnet. Abhängig vom Schweregrad der SMA reicht das klinische Erscheinungsbild vom frühkindlichen Tod bis hin zu einer normalen Lebenserwartung bei einer eher milden Form der Muskelschwäche. Das für die Ausprägung der SMA verantwortliche Gen SMN1 wurde bereits 1995 entdeckt (Lefebvre et al., 1995). Während bei Patienten mit SMA das SMN1-Gen fehlt, besitzen diese jedoch noch ein weiteres sehr ähnliches Gen, deshalb SMN2 genannt. SMN2 unterscheidet sich von SMN1 unter anderem durch einen kritischen Nukleotidaustausch, der bewirkt, dass beim Spleißen der SMN2 mRNA ein Teil der Gensequenz, das Exon 7, herausgeschnitten wird. Der Verlust dieses Abschnitts führt zum nahezu vollständigen Funktionsverlust des SMN2-Proteins (Wegen des Verlusts des 7. Exons auch Δ7SMN2 genannt). Obwohl das 7. Exon in 90 % der gesamten SMN2 mRNA Transkripte fehlt, ist es erstaunlicherweise in rund 10 % der SMN2 mRNA Transkripte vorhanden. Von diesen 10 % SMN2 mRNAs, die das 7. Exon tragen, wird ein Protein gebildet, welches SMN1 identisch und somit auch vollständig funktional ist. Die SMA ist also keine Krankheit, die sich durch den kompletten Verlust des SMN-Proteins auszeichnet, sondern durch eine starke Verminderung der SMN-Menge verursacht wird. Interessanterweise besitzen Menschen häufig eine unterschiedliche Anzahl von SMN2-Genkopien (Zwischen 1 und maximal 6 Kopien). Da von jeder SMN2-Kopie rund 10 % funktionales Protein gebildet werden, zeigen Patienten mit einer hohen Anzahl SMN2-Kopien in der Regel einen milderen Krankheitsverlauf. Der Schweregrad der Erkrankung verhält sich umgekehrt zur Anzahl der SMN2-Kopien: SMA Typ I-Patienten (Schwerer Krankheitsverlauf) besitzen demnach meistens nur 1-2 SMN2-Kopien, SMA Typ II-Patienten (Intermediäre Form) 2 oder 3 SMN2-Kopien und SMA Typ III-Patienten (Milder Krankheitsverlauf) 3 oder 4 SMN2-Kopien. Höhere SMN2-Kopienzahlen sind meistens mit einem sehr milden Krankheitsverlauf verbunden.
Seit der Entdeckung des Krankheits-verursachenden Gens SMN1 sind nunmehr rund 16 Jahre vergangen. In dieser Zeit intensivster Forschung konnten mit Hilfe zahlreicher Tiermodelle (Würmer (C.elegans), Taufliegen (Drosophila), Fischen (Danio rerio), Mäusen (Mus musculus) und sogar Schweinen (Sus scrofa)) erhebliche Fortschritte im grundlegenden Verständnis der Erkrankung gemacht werden. In zahlreichen Arbeiten konnte herausgefunden werden, dass SMN1 eine wichtige Rolle im Reifungsprozess anderer mRNAs spielt, aber beispielsweise auch wichtige Aufgaben bei der Prävention des Zelltods (Apoptose) oder dem Transport von mRNAs aus dem Motoneuronen-Zellkörper in die Axone besitzt. In der Arbeit „Progress and Promise: The Current Status of Spinal Muscular Atrophy Therapeutics“ von Van Meerbeke und Sumner (12.2011) werden die vielversprechendsten Ansätze beschrieben und die Fortschritte in den einzelnen Bereichen umfassend erläutert. Galt die SMA lange Zeit als eine „Motoneuronenkrankheit“, so zeigt sich heute mehr und mehr, dass auch andere Organe (z.B. Leber, Darmtrakt, Herz, Blutgefäße) und Nervenzelltypen (z.B. Nerven des Hippocampus, propriozeptive Nervenendigungen des Rückenmarks) von zu geringen SMN1-Mengen in Mitleidenschaft gezogen werden (Sleigh et al., 2011). Statt sich ausschließlich auf die Wiederherstellung der Motoneuronenfunktion zu beschränken, werden künftige Therapiekonzepte daher zunehmend auf die Wiederherstellung der SMN-Menge im gesamten Organismus abzielen.
2 Therapieansätze und Fortschritt
In den nächsten Absätzen werden folgende Therapiestrategien erläutert und der Stand aktueller Forschung in diesen Bereichen benannt: 1. Aktivierung des SMN2-Gens, 2. Korrektur des SMN2 mRNA Reifungsprozesses (mRNA Spleißen), 3. Protein-Modulation (u. a. Stabilisierung noch vorhandenen SMN-Proteins), 4. Einschleusen des SMN1-Gens (Gentherapie), 5. Schutz der Motoneurone gegen Untergang (Neuroprotektion) sowie 6. Zelltransplantation.
2.1 Aktivierung der SMN2-Genaktivität (Genexpression)
→ Histon Deacetylase Inhibitoren (HDACi), Hydroxyurea und Prolaktin, Quinazolin Derivate
Um die lange DNA-Kette im Zellkern zu verstauen, ist die DNA um bestimmte Proteine aufgewickelt, die sogenannten Histone. Je enger die DNA um die Histone gepackt ist, desto schwächer können Gene abgelesen und mRNAs der entsprechenden Gene gebildet werden. Wenn die DNA hingegen relativ lose vorliegt, sind die Gene besser zugänglich und können gut abgelesen werden. Wie stark die DNA um die Histone gewickelt ist, hängt dabei vom Acetylierungsstatus der Histone ab: Befinden sich viele Acetylreste auf den Histonen, kann sich die DNA nicht mehr um die Histone wickeln und bleibt lose. Befinden sich hingegen nur wenige Acetylreste auf den Histonen, so windet sich die DNA dicht gepackt um diese Proteine und bleibt inaktiv. Histondeacetylasen sind diejenigen Enzyme im Zellkern, welche Acetylreste von den Histonen abspalten. In Gegenwart der Histondeacetylasen wickelt sich die DNA also dicht um die Histone und wird nicht mehr abgelesen. Auch die Aktivität des SMN2-Gens wird durch den Acetylierungsstatus der Histone beeinflusst. Da von SMN2 noch rund 10 % SMN1-Protein hergestellt werden können, versucht man, die Aktivität dieses Gens zu steigern, indem man den Acetylierungsstatus der Histone beeinflusst. Dies wiederum versucht man durch die Gabe von Substanzen zu bewerkstelligen, welche die Histondeacetylasen blockieren (auch inhibieren genannt, daher der Name „Histondeacetylase Inhibitoren“) – jene Enzyme, welche die Acetylreste von den Histonen abspalten.
Bereits vor 10 Jahren konnte zum ersten Mal gezeigt werden, dass die SMN2-Aktivität durch den HDACi Sodium Butyrat positiv beeinflusst werden kann (Chang et al., 2001). Daraufhin konnten bald auch für andere Substanzen dieser Wirkklasse in Zelllinien sowie Tiermodellen ähnliche Effekte beschrieben werden, darunter: Valproinsäure (VPA), Phenylbutyrat, Trichostatin A (TSA) und das Hydroxamat suberoylanilide hydroxamic acid (SAHA) (Brichta et al., 2003, Sumner et al., 2003, Andreassi et al., 2004, Hahnen et al., 2006, Avila et al., 2007, Narver et al., 2008). Die Substanzklasse der HDACi war auch die erste, mit der Verbesserungen des SMA-Phänotyps in Mausmodellen beobachtet werden konnte. So konnte zum Beispiel für TSA und SAHA eine Verlängerung der Überlebenszeit um rund 40 % bzw. 30 % beobachtet werden (Narver et al., 2008, Riessland et al., 2010). Da VPA und Phenylbutyrat bereits zur Behandlung anderer Erkrankungen verwendet werden, wurden sehr bald erste klinische Studien an SMA Typ II und III-Patienten mit diesen Substanzen begonnen. Die Auswertungen dieser Studien ergaben jedoch nur geringe bis gar keine positiven Effekte (Mercuri et al., 2007, Swoboda et al., 2010, Kissel et al., 2011). Da ein früher Behandlungsbeginn mit diesen Substanzen erforderlich sein könnte, wird derzeit auch eine Studie mit SMA Typ I-Kindern durchgeführt. Weiterhin werden auch Anstrengungen unternommen, andere noch potentere und spezifischere HDACi zu entdecken, die überdies noch leichter die Blut-Hirn-Schranke überwinden und somit in die Motoneuronen vordringen können. Da einige dieser Substanzen auch durchaus toxische Nebeneffekte haben können, liegt eine große Herausforderung darin, Verbindungen zu identifizieren, die für den risikoarmen Langzeitgebrauch geeignet sind.
Quinazolin-Derivate wurden ursprünglich in einem Medikamentenscreen mit über 500.000 verschiedenen Substanzen entdeckt und sind in der Lage, die SMN2-Expression zu steigern (Jarecki et al., 2005). Nach Optimierung der chemischen Verbindung hinsichtlich Verträglichkeit, verlängerter Halbwertszeit und Wirkpotential wurden 2010 erstmals Versuche an SMA-Mäusen durchgeführt. In diesen Versuchen zeigte sich, dass das Quinazolin-Derivat zu einer rund 30 %igen Verlängerung der Lebensspanne und einer 15 %igen Gewichtszunahme in SMA-Mäusen führt (Präsentiert von Van Meerbeke, 2011, FSMA Meeting, Lake Buena Vista, Florida, US). Die Firma „Repligen Corporation“ hat bereits klinische Phase I-Studien an gesunden Freiwilligen mit dieser Substanz begonnen.
2.2 Korrektur des SMN2 mRNA-Spleißen
→ Salbutamol, Kleine Moleküle, Antisense Oligonukleotide
Durch einen kritischen Nukleotidaustausch im 7. Exon des SMN2 Gens wird von SMN2 zu 90 % eine mRNA produziert, welcher das 7. Exon fehlt und deren Proteinprodukt deshalb nicht mehr funktional ist. In den restlichen 10 % SMN2 mRNA ist das 7. Exon noch enthalten und es entsteht ein voll funktionsfähiges SMN-Protein. Da alle SMA-Patienten das SMN2-Gen (allerdings in unterschiedlicher Kopienzahl, siehe Absatz 2) tragen, zielen einige Therapiestrategien auf die Heraufregulation der Aktivität des SMN2-Gens, um somit auch gleichzeitig die Gesamtmenge an noch funktionalem SMN-Protein zu erhöhen. Weiterhin ist es möglich, mit verschiedenen Wirkstoffen oder modifizierten komplementären RNA-Molekülen (Antisense Oligonukleotide) direkt in den Spleißvorgang der SMN2 mRNA einzugreifen und den Verlust des 7. Exons zu verhindern.
In der Vergangenheit konnte gezeigt werden, dass Salbutamol die Menge an korrekt gespleißtem SMN, welches das 7. Exon enthält, in der Zellkultur erhöhen kann (Angelozzi et al., 2008, Tiziano et al., 2010). In zwei Pilotstudien an SMA Typ II und III-Patienten über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten konnte zudem beobachtet werden, dass die Behandlung mit Salbutamol zu moderaten Verbesserungen der Motorik führte (Kinali et al., 2002, Pane et al., 2008). Obwohl Salbutamol sehr gut verträglich zu sein scheint, sind weitere Plazebo-kontrollierte Studien nötig, um die Wirksamkeit dieses Medikaments zu bestätigen.
Im Jahre 2001 wurde berichtet, dass Aclarubicin (eine antibiotikaähnliche Substanz, die zur Behandlung von Krebs verwendet wird) zu einem verstärkten Einschluss des 7. Exons in die SMN2 mRNA in Hautzelllinien von SMA-Patienten führt (Andreassi et al., 2001). Aclarubicin hat jedoch stark toxische Langzeiteffekte und ist deshalb ungeeignet für die Behandlung von SMA-Patienten. Aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu Aclarubicin wurden zahlreiche Tetracyclin-Derivate (Tetracyclin ist auch ein Antibiotikum) aus einer Wirkstoffbibliothek (Paratek Pharmaceuticals) kürzlich auf ihre Fähigkeit hin untersucht, den Exon 7. Einschluss in die SMN2 mRNA zu begünstigen. Tatsächlich konnte auf diese Weise ein Derivat namens PTK-SMA1 identifiziert werden, welches daraufhin auch in einem SMA-Maussystem getestet wurde: Bemerkenswerterweise war PTK-SMA1 auch im Tierversuch in der Lage, die Gesamtmenge an SMN-Protein durch einen verstärkten Einbau des 7. Exons in die SMN2 mRNA zu erhöhen (Hastings et al., 2009).
Kürzlich verkündete ein weiteres Unternehmen, PTC Therapeutics, die Entdeckung dreier weiterer Substanzen, die ebenfalls die Gesamtmenge an SMN-Protein durch einen vermehrten Einschluss des 7. Exons in die SMN2 mRNA erhöhen. Alle drei Wirkstoffe waren demnach in der Lage, die Gesamtmenge an SMN-Protein zu erhöhen und führten zu einer verlängerten mittleren Überlebensdauer von SMA-Tieren, in einem Fall von 14 auf 132 Tage. Angeblich können die Wirkstoffe oral verabreicht werden und erfolgreich die Blut-Hirn-Schranke passieren. Auf welche Weise sie das Spleißen der SMN2 mRNA korrigieren ist jedoch noch ungeklärt (Präsentiert von Naryshkin N., 2011, FSMA Meeting, Lake Buena Vista, Florida, US).
Eine weitere Strategie zur Korrektur des SMN2-Spleißens ist die Verwendung von sogenannten Antisense Oligonukleotiden. Diese modifizierten RNA-Moleküle lagern sich in der Zelle an einen bestimmten Abschnitt der SMN2 mRNA an und verhindern dadurch den Verlust des 7. Exons, was normalerweise in 90 % der SMN2 mRNA der Fall wäre. ISIS Pharmaceuticals konnte ein sehr effizientes Antisense Oligonucleotid (ASO 10-27) herstellen und hat dieses in Zusammenarbeit mit Dr. Adrian Krainers Laboratorium (Cold Spring Harbor Laboratory, New York) und dem Unternehmen Genzyme bereits im Mausmodell getestet. Durch direkte Applikation von ASO 10-27 in das zentrale Nervensystem von SMA-Mäusen konnte die mittlere Überlebensdauer von 16 auf durchschnittlich 26 Tage erhöht werden (Hua et al., 2010, Passini et al., 2011). Nach Injektion von ASO 10-27 in die Hirnflüssigkeit von Makaken konnte das Antisense Oligonukleotid nach einer Weile in therapeutisch ausreichender Konzentration auch im Rückenmark der Affen nachgewiesen werden, was die klinische Bedeutung dieser Behandlungsstrategie weiter unterstreicht (Passini et al., 2011). Interessanterweise wirkte ASO 10-27 noch besser in Mäusen, wenn es nicht nur in das zentrale Nervensystem, sondern in die Bauchhöhle injiziert wurde, von wo es sich in den ganzen Körper der Tiere ausbreiten konnte (Systemische Applikation). Auf diese Weise überlebten manche SMA-Mäuse bis zu einem Jahr. Gerade dieser Versuch zeigt eine Vermutung auf, für die sich momentan mehr und mehr die Hinweise verdichten: Die SMA ist keine reine Motoneuronenerkrankung, sondern betrifft auch zahlreiche andere Organe. Angeblich plant ISIS Pharmaceuticals den Beginn von klinischen Phase I-Versuchen mit ASO 10-27 in SMA-Patienten bereits in diesem Winter.
2.3 Stabilisierung noch vorhandenen SMN Proteins
Mit bestimmten Substanzen (z.B. Aminoglykoside, Proteasom-Inhibitoren) kann man erreichen, dass das vom SMN2-Gen gebildete Protein etwas länger und damit stabiler ist oder dass es nicht so schnell abgebaut wird. Die hierfür verwendeten Substanzen sind aber zu toxisch, um sie in klinischen Studien an Patienten anzuwenden.
2.4 Gentherapie
In kaum einem Bereich der SMA-Forschung wurden in letzter Zeit derartig durchschlagende Erfolge erzielt, wie in der Gentherapie. Der Begriff Gentherapie bezieht sich dabei auf die das Einfügen eines funktionierenden SMN1-Gens in das Genom von SMA-Patienten. Bis vor kurzem bestand die größte Schwierigkeit darin, das SMN1-Gen in so schwierig zu erreichende Zelltypen wie die Motoneurone einzuschleusen (Die Blut-Hirn-Schranke muss überwunden werden). Diese Hürde wurde durch die Verwendung von so genannten selbstkomplementären Adeno-assoziierten viralen Vektoren überwunden (Foust et al., 2010, Passini et al., 2010, Dominguez et al., 2011). Einfach formuliert wird dazu das SMN1-Gen in das Virus überführt, welches nach der Injektion in SMA-Mäuse selbstständig die Motoneurone befällt und das SMN1-Gen dabei in die Mauszellen einschleust. Auf diese Weise konnte die mittlere Überlebensdauer von SMA-Mäusen dramatisch erhöht werden: Während Kontrolltiere eine mittlere Überlebenszeit von ca. 15 Tagen zeigten, lebten SMN1-Virus injizierte Tiere 157 Tage, wenn das Virus direkt ins zentrale Nervensystem injiziert wurde bzw. über 250 Tage, wenn das Virus über die Blutbahn (systemisch) verabreicht wurde. Diese Ergebnisse verdeutlichen erneut, dass die Wiederherstellung der SMN-Funktion auch in anderen Geweben als den Motoneuronen wichtig für die Verbesserung des SMA-Krankheitsbildes ist. Von besonderer Bedeutung scheint auch der Zeitpunkt der SMN1-Virusinjektion zu sein: Wurde das Virus kurze Zeit nach der Geburt injiziert, überlebten SMA-Tiere deutlich länger als solche, welche erst zu späteren Zeitpunkten mit dem Virus injiziert wurden (Foust et al., 2010). Diese Beobachtung deutet daraufhin, dass SMN ganz besonders in der ersten Zeit nach der Geburt benötigt wird und unterstreicht daher die Bedeutung von Neugeborenen-Screenings für die Entwicklung einer erfolgreichen Behandlungsmethode für die SMA. Insbesondere mit einem Virustyp, dem scAAV5-SMN1 Virus (self complementary adeno associated virus 5), wurden bereits Injektionsversuche an Makaken, also einem Primaten, durchgeführt. Auch hier konnte gezeigt werden, dass scAAV5-SMN1 erfolgreich die Blut-Hirn-Schranke überwinden und Motoneurone befallen kann (Foust et al., 2010). Derzeit werden weitere präklinische Studien durchgeführt, um potentielle Risiken und Herausforderungen durch Toxizität, die Darreichungsform sowie die Herstellung der Viren genauer zu untersuchen.
2.5 Neuroprotektion
→ Riluzol, Olesoxim
Riluzol ist eine von der FDA genehmigte Substanz, die bereits zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) eingesetzt wird. Riluzol wurde in einem klinischen Phase I Studie getestet und scheint keine toxischen Nebenwirkungen in SMA-Patienten zu besitzen. Darüber, ob Riluzol tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung des SMA-Phänotyps führt, liegen bislang keine aussagekräftigen Daten vor.
In einem Wirkstoffscreen der Firma Trophos konnte kürzlich die neuroprotektive Substanz Olesoxim (auch TRO19622 genannt) identifiziert werden, welche Ratten-Motoneurone vor dem Untergang schützen kann (Bordet et al., 2007). Mit dieser Substanz wird zurzeit eine klinische Studie an europäischen SMA-Patienten durchgeführt.
2.6 Zelltransplantation
Eine weitere Strategie zur Behandlung der SMA ist die Zelltransplantation. Embryonale Stammzellen (ES Zellen) können zunächst in Nervenstammzellen und anschließend in funktionale Motoneurone verwandelt (differenziert) werden. Nach Injektion von Nervenstammzellen in das zentrale Nervensystem von SMA-Mäusen konnten diese auch im Rückenmark zu Motoneuronen differenzieren, was zu einer Verlängerung der Lebensdauer und verbesserter Motorik der behandelten Tiere führte. Außerdem besaßen injizierte SMA-Tiere eine größere Anzahl von Motoneuronen im Vergleich zu Kontrolltieren (Corti et al., 2008). Man muss bei diesen Versuchen allerdings bedenken, dass die Axone transplantierter Motoneurone aller Wahrscheinlichkeit nicht den Weg zu den Muskeln finden. Die beobachteten positiven Effekte einer Zelltransplantation rühren daher vermutlich von so genannten neurotrophen Faktoren, die von den transplantierten Zellen ausgeschüttet werden und vorhandene Motoneurone vor dem Untergang schützen.
Das Unternehmen California Stem Cell Inc. konnte kürzlich vermelden, eine Methode zur Herstellung hoch reiner und zugleich großer Mengen menschlicher Nervenstammzellen entwickelt zu haben (Nistor et al., 2011). Weiterhin konnte die gleiche Arbeitsgruppe eine Verbesserung des SMA-Phänotyps in Mausmodellen für ALS, SMA und Rückenmarksverletzungen nach Nervenstammzelltransplantationen beobachten (Wyatt et al., 2011).
Dr. rer. nat. Bastian Ackermann
Humangenetisches Institut
Universität zu Köln